Eine Elster am Beginn, ein Feuervogel zum Schluss

Ornithologie im Konzertsaal bei einem Konzert der Berliner Philharmoniker

Auch große Kunst kommt ohne Antrieb nicht aus. Neben allem Genie trieb Mendelssohn Bartholdy vor allem eines: die Pflicht. So schreibt er in einem Brief: „Solange ich … nicht … verhungere, … ist es Pflicht, zu schreiben, was und wie es mir ums Herz ist … und wenn ich ein Stück gemacht habe, wie es mir aus dem Herzen geflossen ist, so habe ich meine Schuldigkeit dabei gethan…“ Aber manchmal ließ sich der geneigte Komponist von weniger überzeugen und sei es nur das Drängen eines Freundes. Dieser Freund, Ferdinand David, er war Konzertmeister des Gewandhausorchesters, wollte etwas Brillantes. Natürlich, wenn der Komponist Mendelssohn heißt. Doch fragte dieser besorgt zurück, „und wie fängt unser eins das an?“ Vielleicht war es ja dieser Zwang zur Perfektion, der Mendelssohn sechs Jahre an dem Stück arbeiten ließen. Nun, die Arbeit hat sich gelohnt und sein Violinkonzert gehört zu den Evergreens in den Konzertsälen dieser Welt.

Was machte eine formidable Solistin wie Midori mit dem Stück? Sie hält jedenfalls nicht viel von einem zurückhaltenden Herantasten. Bereits nach wenigen Augenblicken beginnt ihre Auseinandersetzung mit der Violine. Da wird sich nichts geschenkt, um jeden Ton gerungen, lässt die zierliche Japanerin ihre Muskeln spielen. Bei allem gezeigten Krafteinsatz bleibt die künstlerische Brillanz niemals auf der Strecke. Die Akkorde, die aus der Violine strömen schwanken zwischen herzzerreißend, innig und triumphierend-jubilierend. In Momenten von fast vollkommener Stille, scheint für wenige Augenblicke die Zeit stehen zu bleiben. Allein die Kunst des Gehörten wurde nicht von allen gleichermaßen geteilt und so ließen allzu eifrige Beifallspender dem Rest des Publikums keine Gelegenheit, den entschwundenen Tönen noch einige wenige Sekunden nachzulauschen.

Schon vor der Pause war Rossinis Ouvertüre aus der Oper „Die diebische Elster“ ein Jungbrunnen an schwelgenden, mitreißenden und tänzerischen Akkorden gewesen, wo Mariss Jansons das Orchester mit bravouröser Leichtigkeit und weichen Armbewegungen die Richtung vorgab.

Ein möglicher EU-Beitritt der Türkei beschäftigt das Feuilleton schon eine geraume Zeit. Allein die Skeptiker scheinen im Moment in der Überzahl. Ihnen kann nur das Hören von Haydns Symphonie Nr. 100 empfohlen werden, die sich nahtlos anschloss. Nach einem forschen Marsch am Beginn übernehmen die wunderbaren Flöten und Oboen das Zepter, bleibt von der martialischen Kulisse erst mal nicht viel übrig. Vor allem die schmissige Janitscharen-Musik im zweiten Satz, der der Einfachheit halber gleich das Etikett „türkisch“ verpasst wurde, trug dem Stück den Beinamen „Militär-Symphonie“ ein. Schöner Einfall am Ende, als drei „Berliner Janitscharen“ mit Triangel, Becken und Großer Trommel in den Saal marschierten. Selbst während des Beifalls bewahrten sie Disziplin und hielten ihre Instrumente einsatzbereit.

Eine Elster am Beginn, ein Feuervogel zum Schluss. Die Komposition für das Ballett „Der Feuervogel“ bedeutete für Strawinskys den Abschied vom Handlungsballett in der Tradition Tschaikowskys. Die Musik des „Feuervogels“ gibt bereits einen ersten Blick auf das Ungehörte frei, was die Zuhörer später im „Le Sacre du Printemps“ erwarten sollte. Auf leisen Schwingen von Klarinetten und Fagotten naht der Feuervogel, bereiten die Violinen ihm einen gebührenden majestätischen Empfang. Wie liebestrunken lassen die Oboen den gefiederten Helden herumstolzieren, bevor ein mächtiger Donnerhall über den Saal hereinbricht. Hier entladen sich Kräfte, denen sich auch das Publikum nicht versagen wollte und seinen Teil mit euphorischem Beifall beitrug.

Ornithologie im Konzertsaal

Berliner Philharmoniker
Dirigent: Mariss Jansons
Midori, ViolineGioacchino Rossini (1732-1868), Ouvertüre zur Oper „Die diebische Elster“
Joseph Haydn (1732-1809), Symphonie Nr. 100 G-Dur („Militär-Symphonie“)
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847), Violinkonzert e-Moll op.64
Igor Strawinsky (1882-1971), Der Feuervogel (Fassung 1919)

12. Januar, Philharmonie, Berlin

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