Literarischer SonntagnachmittagHans-Ulrich Treichel liest aus seinem Roman „Der irdische Amor“

In entspannter Sonntagsnachmittagsstimmung hatte sich ein nicht allzu großes und recht jugendliches Publikum in der Moritzbastei eingefunden, um Treichel lesen und reden zu hören. Für diesen auch ein Heimspiel, lehrt er doch mittlerweile seit 7 Jahren am Leipziger Literaturinstitut. So dürfte er auch das eine oder andere Gesicht aus seinen Seminaren im Zuschauerraum wiedererkannt haben.

Treichel gilt als einer der wichtigsten Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur, und so versucht Moderator Hametner zuerst ein wenig in Leben und Werk Treichels einzuführen. Das Ganze freilich, wie es sich für ein Kultur-Café gehört, in einem angenehm entspannten Sonntagmittagskaffeeton. Und so plaudern die Herren auf dem Podium ein wenig: über Lehre und eigenes Schaffen, für das man sich hin und wieder unbezahlten Sonderurlaub nehmen müsse, über die aktuelle Mode der Literaturkanons und Wolfgang Koeppen, über den Treichel promovierte, über Treichels Werke und (Anti-)Helden, insbesondere über den Roman Tristanakkord, wobei sich Hametner natürlich nach Hans-Werner Henze erkundigt und Treichel standhaft antwortet: „Das ist kein Schlüsselroman“.

Treichel erzählt von Ostwestfalen und seiner Biographie, und von dort schweift der Dialog ins Poetologische: Treichel reflekiert sein Schreiben mit dem Medientheoretiker McLuhan als Ich-Extension und nennt Heimat- und Wurzellosigkeit und Scheitern als entscheidende Themen seines Schaffens. Große Worte eigentlich, doch das alles wird im Plauderton vorgetragen: humorvoll, gelassen, distanziert und pathosfrei. Allerdings wirken Treichel und Hametner schon recht routiniert, auch Treichels witzigen Nebenbemerkungen merkt man an, das sie schon öfters mit Erfolg eingesetzt wurden. Ihre Wirkung tun sie gleichwohl auch jetzt, und das Publikum lässt sich so gerne den Sonntagnachmittag vertreiben. Das Michael-Arnold-Quartett liefert dazu die passenden Jazz-Standards. Alles in Ordnung also am Sonntagmittag?

Ja und nein. Treichel liest, und was er liest, will so gar nicht in die gediegene Stimmung passen. Hametner meint, Treichels Roman habe einen doppelten Boden und mag damit recht haben, aber eigentlich ist das noch zu schwach. Ist es zu harsch geurteilt, Treichel einen bösartigen und hinterhältigen Schriftsteller zu nennen? Auch sein neuer Roman rückt wieder einen Versager, einen Trottel, einen der nichts kapiert hat, in den Mittelpunkt und auch den lässt Treichel wieder scheitern. An der Hoffnungslosigkeit der Situationen bleibt kein Zweifel. Freilich ist Treichel ein handwerklich überaus versierter Schriftsteller und er erzeugt mühelos wie selten jemand in der deutschen Gegenwartsliteratur Komik, aber das Lachen bleibt einem dann doch manchmal im Halse stecken. Er selbst spricht zwar in Bezug auf seine Anti-Helden davon, dass eine „Humanität“ (!) in deren Bedürftigkeit und Versagen zum Ausdruck komme, allein mit der Humanität der Protagonisten scheint hier wohl ihre Würstchenhaftigkeit gemeint zu sein.

So wunderte es einen nicht, ließe man sich von Treichels Romanen hin und wieder etwas deprimieren. Unter dem humoristischen doppelten Boden liegt ein Abgrund. Aber gerade in dieser Abgründigkeit zeigt sich Treichels Erzählkunst, und sie ist die Triebfeder, die seine Romane zu wirklich guter Literatur macht. Nur zur Sonntagslaune will das Ganze nicht so recht passen, und so geht man mit recht zwiespältigen Gefühlen nach Hause oder auch zufrieden mit einem signierten Exemplar des irdischen Amors. Die Lektüre lohnt sich auf jeden Fall.

Hans-Ulrich Treichel liest aus seinem Roman Der irdische Amor
Moderation: Michael Hametner
Musik: Michael-Arnold-Quartett
12.01.2003, mb, MDR-Kulturcafé

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