„Der Gleichmut des Katastrophischen“

Tilo Baumgärtels Ausstellung „Hydroplan”

Kunstpreis der Sachsen LB 2002

1972 geboren in Leipzig
1988 – 1991 Ausbildung zum Facharbeiter für Werkzeugmaschinen
1991 – 1998 Studium an der Hochschule für Graphik und Buchkunst Leipzig bei Arno Rink
1998 – 2000.1 Meisterschüler bei Arno Rink

lebt in Leipzig

Eine Wagenburg, deren Wagen sich nicht bewegen können, ein Zug, der unfähig ist zu fahren, im Schnee steckengebliebene Eisenbahnwaggons, auf giftigen Grund gelaufene Hydroplane und vermummt sich begegnende Gestalten. Eigentlich ist die Katastrophe schon da. Und sie ist es sehr präzise, glaubt man der klaren, überdeutlichen malerischen Sprache Tilo Baumgärtels. Nur die Menschen nehmen sich inmitten der Katastrophe schemenhaft aus, versuchen sich, in ihr zu orientieren, ziellos, hilflos, bleiben ausgeliefert und chancenlos. Sie selbst sehen die Katastrophe nicht, müssen sich aber in ihr zurechtfinden.

Was interessiert einen Dreißigjährigen an der amerikanischen Tristesse der 50er und 60er Jahre? War der Beginn des Sieges der Funktionalität über die staunende und sich noch nicht wehrende Natur der Beginn der Katastrophe (der Abspaltung von Individuum und Umgebung)? Begab sich die Natur in eine „Wartezeit“, geformt nach dem Bilde des Menschen? In das scheinbar Konkrete und fassbar Gegenständliche sind die surrealen und tastend sinnlosen Beschäftigungen der menschlichen Gestalten eingebettet, deren Agonie eine starke innere Unruhe beim Betrachter auslöst. Idylle und Harmonie vermutend, wird dieser mit dem Widerspruch zwischen glatt dargestellten, gleichmütigen Flächen (Wasser, Schnee oder giftige Sümpfe) und den aufwühlenden, modernen Farben (Pink, Neongrün, Grellviolett) beinahe einer Gewalt ausgesetzt. Expressivität und Impression sind gleichzeitig vorhanden und erzeugen den inneren Widerstand des Betrachters (welcher sich gegen diese giftige Betrachtung der Realität wehrt). Doch das Traumhafte und Surreale bricht gleichzeitig den Widerstand. Somit ist der Betrachter dem katastrophalen Geschehen genauso und direkt ausgeliefert, wie die Gestalten in den Bildern. Er kann sich der unruhigen Vorahnung von Apokalypse nicht entziehen. Ein jeder mag seine eigenen oder die gesellschaftlichen Katastrophen so oder ähnlich empfunden haben.

Der neu gestiftete Kunstpreis der Sachsen LB ist als Förderpreis für junge Künstler zu verstehen, die vor allem in Leipzig mit ihren Werken überzeugen können. Ziel der Sachsen LB ist es, eine eigene Sammlung zeitgenössischer junger Künstler aufzubauen, indem im Museum der bildenden Künste eine Sonderaustellung ausgestattet und für das Museum ein Werk des Künstlers erworben wird. Am internationalen „Comeback der Malerei“ erheblich beteiligt, charakterisiert Tilo Baumgärtel seine Arbeitsweise als „gegenständlich, figürlich und erzählend“. Die malerische Erzählung erinnert an die ersten unterkühlten Science Fiction Filme der 60er Jahre oder an „inszenierte Fotographie“. Das „uralte Prinzip der Malerei“ ist hier neuartig mit modernen „filmischen Grundstrukturen“ verknüpft. Der sogenannte „Neue Realismus“ kann deshalb wohl auch „Neue Ernüchterung“ genannt werden. Denn die Stagnation und das Scheitern als ein legitimer Ausgang des gleichmütig Katastrophischen, wie Tilo Baumgärtel es darstellt, ist in unserer Gegenwart sogar eine wahrscheinliche Lösung für Aufbrüche jeglicher Art. Gewissheiten gibt es nicht. Diese Erkenntnis ist wirklich gruselig, so gruselig wie die Bilder.

Tilo Baumgärtel: Hydroplan

01.12.2002 – 09.02.2003, Museum der bildenden Künste

Bilder und Zitate aus „Hydroplan“, Katalog zur Ausstellung

Abbildungen:

Abholen, 2002, Öl auf Leinwand

Wartezeit, 2002, Öl auf Leinwand



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