„Open Hearts” – der jüngste „Dogma”-Film (Anja Szymanski)

„Open Hearts“
(Elsker dig for evigt, Dänemark 2002), dänischer Beitrag zur Oskarbewerbung 2003
Passage Kinos

Regie: Susanne Bier
mit Nikolaj Lie Kaas, Mads Mikkelsen, Sonja Richter, Paprika Steen
Kein Weg zurück

Joachim und Cecilie sind ein Paar, Niels und Marie auch. Die einen sind am Beginn ihrer Beziehung, die anderen mitten darin. Joachim wird durch einen Unfall, an dem Marie beteiligt ist, aus dem Leben gerissen und ist vom Hals abwärts gelähmt. Cecilie ist verzweifelt. Ihr Freund stößt sie weg, das blühende Leben in ihr verdrängend. Niels ist Arzt und kümmert sich um die erschütterte Cecilie, dazu angetrieben von der sich an Joachims Unglück schuldig glaubenden Marie. Von derart vielen (nicht unbedingt nötigen und glaubhaften) Zufällen unterstützt, beginnt die Ehebruchsgeschichte.

„Open hearts“ ist der achte dänische Dogmafilm. Das Wort „Dogma“ zieht die Menschen in die Kinos. Sie vermuten Realismus und Wahrheit in den Filmen und werden denn auch – trotz der nun schon bestehenden Abgelebtheit von „Dogma“ – irgendwie bedient. So ist eine unruhige und experimentelle Kameraführung durchaus einer Geschichte angemessen, deren Beteiligte einerseits Experimente wagen, andererseits mit denen der anderen leben müssen. Hier ringen vier Menschen verzweifelt um ein Gleichgewicht, welches den Boden unter den Füßen wieder verankert machen soll. Da es von einem Film von begrenzter Länge zuviel verlangt wäre, den inneren Zustand von vier Menschen darzustellen, fällt die ahnungslose und geschockte Ehefrau Marie (plus Kinder) völlig unreflektiert am Rand der Erzählung hinunter. Und Joachim ist ja sowieso fast außer Gefecht gesetzt. Symbolisch besteht er als Sehnsucht, Idee und Hoffnung in Cecilie weiter. Damit ist der filmische Weg für die unfreie Beziehung zwischen Ehemann und Geliebter zumindest von dieser Seite her geebnet.

Aber der nervöse Blick auf die süße Cecilie und den sich verstrickenden Niels lohnt sich. So nah, wie mitunter die Handkamera an die dann großporigen und großäugigen Gesichter herangeht, um gewünschte zärtliche und sehnsüchtige Berührungen anzuzeigen, so nah gerät auch der Zuschauer an die Nöte der Liebenden heran. Ohne Entscheidungen treffen zu wollen oder zu können, gerät vor allem der Mann in ein Geflecht aus Lüge, Betrug und innerer Unsicherheit, während sich das Mädchen aus Jugend und Naivität gänzlich in die Situation fallen läßt. Sie braucht Trost und holt ihn sich einfach, mit all ihren unverbrauchten Mitteln. Für Niels erwächst aus der anfänglichen Leichtigkeit der Beziehung eine zähe Schwere und das Bedürfnis nach Trost seinerseits. Der Verantwortung für Niels nun entstehende Verletzungen kann (und möchte) Cecilie nicht gerecht werden.

Das wunderbar authentische Spiel von Mads Mikkelsen als emotional verwirrter Arzt, Sonja Richter als Cecilie und die ungestutzten Schauplätze der Handlung (geordnete Wohnung der Familie und Provisorien der Jugend) lassen uns der Tatsache gewahr werden, daß Leidenschaft nicht nur Leiden schafft, sondern vor allem und im Besonderen aus Leiden entsteht. Leider wird Niels Befreiungsversuch (wovon?) nicht reflektiert. Wenn er gewußt hätte, daß es so kommt – würde er alles genauso noch einmal tun, meint er. Das Muss seiner vagen Handlungen und Reaktionen zu erkennen, ist wohl seine Aufgabe, denn getrennt von Marie und den Kindern, verbleibt er am Filmschluß sich selbst überlassen.
Das Mädchen geht am unbeschadetsten aus der Geschichte heraus. Noch schwankend und unsicher, ist die letzte Filmeinstellung ihr Weiter-Fahren. Sie braucht sich wohl erst später (oder nie?) mit sich und ihrer Verantwortung für den anderen auseinanderzusetzen.

Trotzdem ist dieser Film eine sehr beeindruckende und sehr berührende Ablichtung des Zustandes, des ersten Umbruchs auf einen Schock, auf den die ersten unwirklichen, aber einschneidenden Reaktionen folgen. Susanne Bier, geb. 1960 (?Und wenn wir uns selbst und den anderen vergeben, eröffnen wir uns neue Perspektiven.“) stellt dar, daß der objektive Blick auf die Lage niemandem in seinem Unglück und Lebensweg gerecht wird, daß es keine moralischen Wertungen geben sollte. Es ist ein Film über Unreife, über Konsequenzen von Handlungen, über verschwommen wahrgenommene Verantwortung, über liebende Seelen und über enttäuschtes Vertrauen, womit letztendlich ein jeder mit sich selbst fertig werden muß. (Anja Szymanski)

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