William Shakespeares „Romeo und Julia” in einer gelungenen Neufassung (Ian Sober)

18.01.2003 Schauspielhaus Leipzig

William Shakespeare ?Romeo und Julia? (Premiere)
(Deutsch von Frank Günther, Fassung Torsten Buß/Enrico Lübbe)

Regie Enrico Lübbe
Bühne Hugo Gretler
KostümeSabine Blickenstorfer
DramaturgieTorsten Buß

Darsteller s. Seitenende
Foto: Schauspiel Leipzig


Renaissancegemälde mit zwitschernder Amme

Ein heller Holzvorhang mit der darauf gemalten flotten (englisch auszusprechenden) Abkürzung R&J wird nach oben gezogen, dahinter ein Gemälde wie aus der Renaissancezeit: Die Schauspieler in erstarrten Posen, Ton-in-Ton farblich genau abgestimmten Kostümen inmitten von Holzwänden, die an die Täfelung eines Konzertsaals erinnern. Der Prolog wird gesprochen.

Sie ist hinlänglich bekannt, die Geschichte von der alten Feindschaft der Häuser Capulet und Montague und der vor diesem düsteren Hintergrund umso strahlender aufblitzenden Liebe ihrer aufmüpfigen Kinder. Wer sich des Stoffs annimmt, sieht sich einem Gebirge von etablierten Adaptionen, Auffassungen, Textfassungen gegenüber. Was Enrico Lübbe jetzt am Schauspielhaus daraus gemacht hat, zahlt dem Zeitgeist seinen Tribut, ohne jedoch despektierlich mit dem Original umzugehen.

Beginnen wir mit der berühmten Balkonszene: Da kontrastiert der überschwengliche Text mit einem ganz und gar statischen Szenenbild (was typisch für weite Teile der Aufführung erscheint – genau konstruierte unbewegliche Bilder werden aneinandergefügt). Die beiden Protagonisten monologisieren ins Publikum hinein – so wie der romantischen Liebe das Bild im Kopf genügt und die Realität nur als Anstoß dient. Doch bleiben die bodenständigen Motive – die in dieser Textfassung recht unverhohlen zum Ausdruck kommen – nicht ausgespart: Auf dem nächtlichen Balkon drückt Julia eine riesige Wachskerze an ihren Körper, wenn sie in zappliger Erwartungsfreude von ihrem Romeo spricht. Und wenn sich zuvor die Clique um Romeo ins Capuletsche Festgetümmel stürzt, so setzen sich die drei Masken mit recht phallisch anmutenden Nasen auf.

Die ästhetische Konzeption kommt in diesem Fest gut zum Ausdruck: Plakative, in ihrer Kürze skizzenhaft anmutende Szenen werden durch Auf- und Abblenden von Musik und Licht wie Filmszenen aneinandergereiht. Die gut ausgewählte, leitmotivisch eingesetzte Musik dient als Bindeglied und beschleunigendes Element. (So gibt die Filmmusik aus Jim Jarmusch’s „Dead Man“ den Blutsfehde-Szenen einen Hauch von Italo-Western.) Das sehr ästhetische Bühnenbild (Hugo Gretler) trägt sein übriges dazu bei, den Eindruck von Frische und Modernität zu vermitteln. Durch seine Abstraktionen setzt es an den richtigen Stellen Akzente, ohne sich aufzudrängen. Die helle Holzkonstruktion, die den Rahmen für den Bühnenvordergrund abgibt, wirkt kaum verändert gleichermaßen überzeugend als Ballsaal und als Pater Lorenzos Kapelle. Julia bleibt meist einige Meter über dem Bühnenboden in einer Art dunklem Holzrahmen, in dem sie unfrei erscheint wie in einem Käfig. (Ein Motiv, das von der Leipziger Maria-Stuart-Aufführung inspiriert zu sein scheint?) Der nächtliche Friedhof wird hoch oben über der Gruft als geheimnisvoll glimmendes Gitter aus Glühbirnen dargestellt, vor dem die Schauspieler wie Schattenrisse erscheinen.

Dem gesprochenen Text wird weniger Aufmerksamkeit zuteil. Rhythmus und lyrisches Element treten eher in den Hintergrund, mit gelegentlichem Pathos weiß man weniger gut umzugehen als mit Komik. Die Schauspielerleistung ist dennoch durchgängig solide. Torben Kessler gibt den Romeo als introvertierten Bub, Marco Albrecht überzeugt als draufgängerischer Mercutio. Aurel Manthei als stolzer Neffe Tybalt und Michael Schrodt als Benvolio sind in rasanten Fechtszenen zu bestaunen. Julia Berkes tiefe Stimme läßt die kleine beinebaumelnde Julia auf seltsame Weise reif erscheinen. Die Rolle von Julias Amme, hier als Mischung von aufgedonnerter Jugendlichkeit und Altersstarrsinn, kann mit Ellen Hellwig nicht fehlgehen. Ein schöner Regieeinfall: Es sind weder Nachtigall noch Lerche, die zwitschern, sondern die Amme. Und Dieter Jaßlauk als Pater Lorenzo setzt individuellere Akzente als in seinen sonst üblichen Rollen als alter Mann.

Es wäre nicht Shakespeare, wären nicht am Ende alle tot, nur LIEBE strahlt weiter vom Lampengitter über der Gruft und dauert fort, zu einem melancholischen Leonard-Cohen-Song. Und dann sehen wir noch einmal die erste Szene: Simson und Gregor, Diener im Hause Capulet, in hellem Blau, treten auf wie muskelbepackte Police Officers und üben Messerwerfen; Balthasar, Diener der Montagues, in hellem Rostrosa, kommt hinzu, die Händel beginnen von neuem, eine unendliche Geschichte. Der Holzvorhang senkt sich, R&J in einer überraschenden, gelungenen Neufassung.

(Ian Sober)


Darsteller:

Escalus Olaf Burmeister
MercutioMarco Albrecht
Graf ParisStefan Kaminsky
Wache Gunther Schoßböck
MontagueMatthias Hummitzsch
Lady MontagueBarbara Trommer
Romeo Torben Kessler
BenvolioMichael Schrodt
BalthasarPatrick Imhof
Capulet Christoph Hohmann
Lady CapuletSusanne Stein
Julia Julia Berke
Tybalt Aurel Manthei
Julias AmmeEllen Hellwig
Simson Günter Schoßböck
Gregor Thomas Dehler
Vetter Capulet Sebastian Hubel
Bruder LorenzoDieter Jaßlauk
Bruder Johannes Günter Schoßböck
ApothekerThomas Dehler

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