Violinvirtuose in T-Shirt und Sakko

Steffen Jacobs Gedichte zeigen Witz und virtuose Sprache

Man Ray lässt grüßen, betrachtet man den Einband von Steffen Jacobs drittem Gedichtband: Da zieren zwei Violinschalllöcher einen Frauenkörper, der einem alten Gemälde der drei Grazien entstiegen zu sein scheint, in klassischem Kontrapost mit asymmetrisch abgeknicktem Körper. Hier paart sich Alt mit Neu, hier geigt einer auf Frauenkörpern und streicht die Saiten der alten und neuen Meister von Bellman bis zum großen Lakoniker Englands: Philip Larkin.

Glaubt man den vom Verlag Zweitausendeins im Einband zitierten Kritiken, so erwarten uns „Gedichte wie ein lässiges T-Shirt, über das man ein edles Sakko gezogen hat“ (Florian Illies, Fuldaer Zeitung). Steffen Jacobs „kann schnodderig sein wie Rühmkorf und von zynischer Abgeklärtheit wie Benn, er kann Rilke parodieren und auch mal einen Kästner-Ton einspielen, er bedient sich gern eines gelassenen Parlando-Stils und Sonette schreiben kann er sowieso“ (Ernst Osterkamp, FAZ). Ein Chamäleon also, ein ironisch-witziger Wortjongleur.

Als dieser stellt sich Steffen Jacobs auch selbst vor auf der beiliegenden CD. Sein Sprechton ist zumeist spöttisch, ironisch-distanziert, die Auswahl der Texte: eher T-Shirts als Sakkos. Leider sind die Pausen zwischen den einzelnen Texten zu kurz, sodass beim Zuhören eine gewisse Monotonie entsteht. Auch der kaum gewechselte Tonfall des Autors trägt dazu bei.

Doch, um Florian Illies‘ Metapher aus der Modebranche ein letztes Mal zu bemühen und ein wenig zu präzisieren: Steffen Jacobs Gedichte sind keine T-Shirts, die man lässig unter Sakkos trägt, sie sind vielmehr beides, mal T-Shirt, mal Sakko, und häufig eben die eigenwillige Kombination aus beidem. Mehr noch als in den beiden bisherigen Bänden des Berliner Autors finden sich neben schnodderigen Texten ernste, eigenwillige Gebilde, die so gar nicht in das Bild passen, das die Kritiker von ihm entworfen haben. Doch der Reihe nach, am besten anhand der einzelnen Kapitel des Bandes:

I, HERZ ODER STIRN enthält Beziehungsgedichte, auch jenes flapsige Angebot freundlicher Übernahme, das dem Band den Titel gab. Sack, Schwanz & Pimmel GmbH erkundigen sich nach dem werten Befinden von Muschi, Möse & Co. Witzig, ein wenig Macho, aber gelungen. Dann, wie ein Kleinod in den überwiegend lockeren, teilweise auch etwas platten Gedichten, ein Liebesgedicht, der Kürze halber hier zitiert: „Liebesgedicht// Das Gefühl/ dass ganz viel/ auf dem Spiel steht // Es verliert/ sich zum Glück/ mit dem Spielen.“

In CRASH SITE begegnen wir hauptsächlich Reisegedichten, und da findet sich, nicht unabsichtlich in der Mitte des Bandes platziert, wieder so ein Fremdkörper, das Langgedicht Museum Lagos. Dieses portugiesische Naturkundemuseum, das in einer ehemaligen Kirche untergebracht liegt, enthält ein seltsames Sammelsurium präparierter Tiere, gestifteter Sammlungen und Schädelknochen. Der Schädel ist es auch, in dem das Museum seine Fortsetzung erfährt, in Assoziationen, Traumsequenzen und Erinnerungen des Autors, der sich hier von seiner eher nachdenklichen Seite zeigt.

Die Ghasele, eine orientalische Reimform mit dem Schema aa ba ca da, erscheint etwas befremdend im Titel des folgenden Kapitels (NICHTS GEGEN GHASELEN) und läutet eine Runde ein, die man auch als literarische Nabelschau bezeichnen könnte. Jacobs schreibt über das Schreiben, über die Lektüre einer zeitgenössischen Anthologie und spricht vom Verhältnis zwischen Dichter, Leser und Gedicht. Dabei ist der Autor nicht immer frei von Selbstbeweihräucherung, versucht diese aber ironisch zu bemänteln.

WAS WAR, WAS WIRD, der vierte und letzte Teil des Bandes, enthält viel Gewidmetes. Der Sänger Ronnie Van Zant wird mit einem Poem geehrt, die lieben Verbliebenen bekommen ihr Fett ab („Liebe Tante Trudi,/ deine Braten/ sind große Taten“). Zum Schluss wagt Steffen Jacobs diverse Ausblicke („Zum Neuen Jahr// Alles soll jetzt anders werden,/ doch auf höherem Niveau“) und besingt auf furiose Weise den Wandel der Zeiten mit einem beinahe chansonesken Rausschmeißer, der diesem letzten Kapitel den Titel gab: „Geschwind, wir ziehen singend/ durch jenes hohe Tor./ Geschafft – den Riegel vor!/ Der Feind kreischt noch was Mieses./ Das war nun also dieses:/ nämlich knapp.“

Durch so viele Formen geschritten… Steffen Jacobs liebt das Spiel mit Masken und Tönen. Ein Spiel, das der Autor auch schon in seinem poetologischen Fortsetzungsroman Lyrische Visite oder Das nächste Gedicht bitte! betrieben hat. Unter dem Pseudonym Jakob Stephan, einem pensionierten Mediziner und Literaturwissenschaftler in der Nähe von Bremen, untersuchte er darin die Werke des Poesiebetriebs auf Herz und Nieren. Sein Umgang mit der Sprache ist virtuos, doch man fragt sich: Wer geigt da eigentlich unter T-Shirt und Sakko?

Steffen Jacobs: Angebot freundlicher Übernahme
Erstausgabe mit einer CD, gelesen vom Autor
Gerd Haffmans bei Zweitausendeins
96 Seiten, 16,90 €

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