„Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen…“

Wer sind die Meister von morgen? Rundgang 2003 in der Hochschule für Grafik und Buchkunst

So schrieb einst der altersweise Goethe, der in seiner frühen Leipziger Studienzeit selbst Schüler der Leipziger Kunstakademie war. An jener Akademie, die heute Hochschule für Grafik und Buchkunst heißt, kann der kreative Studiosus des 21. Jahrhunderts zwischen den vier Diplomstudiengängen Malerei/Grafik, Medienkunst, Fotografie und Buchkunst/Grafik-Design wählen. Und daß auch viel Fleiß und Aneignung technischer Fertigkeiten notwendig sind, um ein Meister solcher Fächer zu werden, davon gab der diesjährige Rundgang der HGB lebendiges Zeugnis. Vom Rektorenzimmer, über den Lift bis zur Druckwerkstatt waren die Räume dem neugierigen Publikum einladend geöffnet und zur Galerie umfunktioniert, so daß der Besucher in das Wirken und Schaffen der Studenten einen Einblick gewann. Da konnte man durch die Flure und verzweigten Treppenhäuser der Hochschule streifen und vermutete auch mal vorschnell in einer Einschreibeliste oder einer achtlos stehengelassenen Kiste ein Kunstwerk, im Wissen darum, daß sich die Kunst heute nur allzu gern in das Gewand des Alltäglichen kleidet.

Die Themen der ausgestellten Arbeiten waren vielfältig wie die Zahl der Exponate. Neben der Behandlung von Körperlichkeit und Sprache wurde oft auch der Blick in das eigene Leben und Ich gerichtet. So wie es in Uta Millners Videoinstallation „Kathrin & Uwe“ geschieht. Hier konnte der Besucher im Fernsehsessel von Kathrin und Uwe Platz nehmen und in einem fünfstündigen Video den Gedanken der beiden Studenten zu Lust und Last der Freundschaft folgen. In deren WG ganz zu Hause fühlte man sich da: relaxed dem Klönen der beiden im TV lauschend, vor sich das Ikea-Regal, gefüllt mit Fotoalben und Topfpflanzen sowie den Heimeligkeit verbreitenden Räucherstäbchenduft in der Nase.

Erkundete man die Flure des Erdgeschosses dann weiter, gelangte man bald zum Mittelpunkt des allgemeinen Interesses: das Ausstellungsprojekt des Fachbereiches Medienkunst „In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod“. Hierfür hatte man den „Laden für Nichts“ als 1:1 Kopie in die HGB-Galerie verpflanzt, wo er bis zum 1. März Heimstatt täglich wechselnder Expositionen sein soll. Das künstlerische Potential dieser Arbeit bleibt jedoch fragwürdig, da die Diskussion um die Einzigartigkeit des Kunstwerkes schon ein höheres Alter zeitigt und der Gedanke des Gebäudeplagiats mit der wundersamen Verdoppelung des Goethe-Gartenhauses in Weimar 1999 ein allzu bekannter Vorläufer der hier präsentierten Idee ist. Das Projekt hinterläßt dennoch beim Besucher den Eindruck kreativer Auseinandersetzung mit dem Ausstellungsraum als Kunstwerk per se.

Der Fachbereich Buchkunst/Grafik-Design stellte in der 1. Etage ein Projekt der besonderen Art vor: „Mapping“ – die Übertragung von Strukturen und sozialen Organisationsformen in andere Medien. Der Gang der Geschichte wird da zu einer Wand voller Datumsstempeln, die tabellarisch Tag für Tag zu dokumentieren scheinen, das Tanztheater ?Berlin Marzahn? kann man als Schnittmuster für tragbare Kleidung erwerben, welche die Umwandlung der choreographischen Koordinaten in textile Formen wiedergeben, und chinesische Eßkultur wird der deutschen in Stäbchendiagrammen gegenübergestellt. Diese Transformation gesellschaftlicher Prozesse in mediale Darstellungsweisen mag dem einen witzig, aber unsinnig erscheinen, dem anderen den Blick für das Selbstverständliche schärfen.

Die 2. Etage wartete nicht nur mit herrlich stilsicheren Arbeiten der Klasse für Freie Grafik auf, die einmal mehr zeigten, wie sich technisches Können mit Inventionalität verbinden kann, auch ein herausragendes Beispiel des Studiengangs Fotografie blieb dem Besucher in Erinnerung: die Diplom-Ausstellung ?Es ist ja auch letztendlich…nichts zum Sehen? von Katia Klose. Bevor man den Raum betreten kann, fällt der Blick unweigerlich auf die Fotografien eines Wartezimmers und eines Krankenzimmers, die menschenleer und steril ein bedeutungsvoller Vorgriff auf die Bilder im Inneren des Ausstellungsraumes sind: OP-Stühle in Abtreibungskliniken werden wirkmächtig, weil unbeschönigend real, ins Zentrum der Fotos gesetzt.

Was man auf Kloses Bildern aus Abtreibungskliniken nicht sieht, sind Angst und Lebensfeindlichkeit dieser Orte und doch assoziieren sie genau das im Betrachter: das Wartezimmer zeigt die Zweifel an der eigenen Entscheidung, wie das Krankenzimmer Schmerzen und Selbstbeschuldigungen zu evozieren scheint, und auch die Behandlungsstühle in steriler Harmlosigkeit und Funktionalität verweisen doch auf das, wozu sie dienen. Von einer Fotokunst, die sich im Beliebigen eines auf Großformat gebrachten Schnappschusses verliert und nicht ohne ein tiefsinnheischendes „o. T.“ auskommt, hebt sich Katia Klose mit Programm und Ausführung ihrer Arbeit deutlich ab.

Wer nun – schon etwas überreizt durch die Mannigfaltigkeit des Gebotenen – noch die letzte Treppe hinauf zur 3. Etage bewältigte, konnte nicht nur die Videoperformance von Lysann Buschbeck, Grit Hachmeister und Kathrin Pohlmann „my way“ verfolgen, die sich als Statement gegen verkopfte Konzeptkunst versteht, sondern auch die zahlreichen Atelierräume besuchen. Die Liebe zur Kunst spiegelte sich aber nicht nur an den Wänden in Malerei und Zeichnung, nein auch das Parkett schien durch Öl und Acryl zu Leben erwacht, und dem geneigten Besucher blieb nach dem Lesen solcher Spuren nun kein Zweifel mehr daran, daß Kunst auch Arbeit ist, die es immer zu bewältigen gilt, wenn Meisterschaft erreicht sein will.

Rundgang 2003

6. 2. – 8. 2. 2003, Hochschule für Grafik und Buchkunst


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