Brillanz, Leichtigkeit und die ewige Veränderung. Ein Tagebucheintrag

Daniel Harding und Lars Voigt geben zusammen mit dem Gewandhausorchester im Grossen Concert Beethoven und Bruckner

Das erste Klavierkonzert von Beethoven eröffnet den Konzertabend. Es erinnert durch seine sanglichen, durchsichtigen Themen zuweilen an Mozart. Daniel Harding interpretiert es entsprechend. Es erklingt also auffällig leicht. Das Orchester artikuliert ganz klar, leise und frisch. Läufe werden präzise von Kantilenen unterschieden. Man denkt an die Schlagworte „historische Aufführungspraxis“, mit denen in jüngster Zeit so manchen bekannten Musikwerken wieder neues Leben eingehaucht wird. Man ist gespannt auf den Solo-Einsatz. Sobald dieser erklingt, breitet sich Zufriedenheit über das Publikum aus. Fürstlich erhebt sich das Thema im Klavier. Lars Vogt vermag es, die Eleganz der Musik mit natürlicher Leichtigkeit zu spielen. Seine Läufe sind perlend, die Arpeggien leidenschaftlich, die Akkorde souverän. Seine Kunst besteht darin, daß er bei aller Virtuosität ganz genau und immer verständlich artikuliert. In vielstimmigen Momenten hebt er die Melodielinie genau und lyrisch ansprechend hervor. Vornehm und einfühlsam begleitet ihn das Orchester dazu. Mit der Kadenz, in der das Thema auf unterschiedliche Weise variiert wird, bestätigen sich die Eindrücke. Dort gibt sich das Thema sowohl romantisch als auch zurückhaltend. Es stellt sich feierlich dar, verklingt fast im Nichts, bevor es erst sanft, dann hochmütig wiederkehrt. Der Zuhörer ist gleich im Bann dieser schwingenden, lebendigen, edlen und höflichen Musik. Jeden Moment des Klavierkonzerts kostet Lars Vogt mit einer Lust aus, die sich auf den Zuhörer überträgt. Und immer bleibt die Leichtigkeit dabei erhalten. Für Bravo-Rufe und anhaltenden Applaus bedankt sich der Pianist letztendlich mit einer einfühlsamen Zugabe.

Es bedarf großer Kunst, Bruckners siebente Sinfonie so zu dirigieren und in einer Weise zu spielen, daß man beim ersten Zuhören das Interesse nicht verliert. Heute abend gelang dies auf wundervolle Weise. Die Bände sprechende Sinfonie verschlang die zweite Konzerthälfte und erzählte von einem Leben – so schien es. Daniel Harding führte jeden Moment der Sinfonie mit Feinfühligkeit, Intensität, exaktem Dirigat und großem Verständnis für die Bedeutung des Werkes aus. Das Orchester folgte mit entsprechender Genauigkeit, Leidenschaft und Intensität exakt das aus, was Paritur und Dirigent vermittelten. Es war ein Hörgenuß, und man hofft sehr, wenigstens in Ansätzen „verstanden“ zu haben, was die Töne einem erzählten.

Bruckners Sinfonie ist von solch einer Intensität und Verwobenheit geprägt, daß es einen fast zerreißt. Im ersten Satz bestimmen ganze 21 Takte das Thema. Ein Thema, das so vielseitig ist, daß man zunächst nur Bruchstücke aufgreift, die man im Laufe des Satzes zwar immer wiederfindet, doch auch gleich wieder verliert. Weite Klänge in den Blechbläsern wechseln sich mit sehnsüchtigen melodischen Linien ab. Kaum meint man zu wissen, wie das Stückchen Melodie, das man eingefangen hat, weitergeht, da moduliert alles, wandelt und windet sich aus der Vorstellung hinfort. Und man muß wieder von vorne anfangen, mit einem neuen musikalischen Moment Freundschaft schließen. Hochdramatischen Klängen und verminderten Abgängen folgen unversehenst Augenblicke, die in eine glückliche Vergangenheit versetzen. Es sind Momente, die wie aus der „Kunst der Fuge“ klingen. Doch es sind immer nur Augenblicke. Es gibt keine wohlige Geborgenheit, nur kurze Momente, in denen man Halt finden möchte und doch nicht kann, denn alles bewegt sich hier, moduliert da, verändert sich, bekommt einen anderen Charakter.

Bruckner würdigt besonders mit dem zweiten Satz den gerade verstorbenen Wagner. Zur Steigerung der Dramatik und in Andenken an den hoch verehrten Komponisten setzt er auch Wagner-Tuben in der Komposition ein. Dadurch wirken die Klänge der Blechbläser noch dramatischer. Über der wiegenden Begleitung der tiefen Streicher bewegt sich eine liebliche Melodie, die warm und weit ist. Auch sie lebt in der Modulation, schreitet ewig fort. Große Crescendi berauschen den Zuhörer und lassen den dann folgenden Augenblick der Ruhe schmerzhaft verzehrend wirken. Auch hier scheint es, als ob nichts bleibt wie es war. Und doch kommt alles wieder.

Der dritte Satz wirkt wie eine Verteidigung gegen diese ewige Veränderung. Paukenwirbel, gebrochene Akkorde in den Blechbläsern, Tutti-Stellen im Fortissimo, alles deutet auf Widerstand hin. Immer wieder Paukenwirbel. Es erschlägt einen fast. Wohltuend ist da der Ruhepunkt, diese sanfte Bewegung auf einer Fläche mit liegendem Baß. Doch er ist nur von kurzer Dauer. Bedrohlich und kämpferisch donnert es wieder los. Es geht einem innerlich durch und durch. Endlos scheint dieser Schrei, der so plötzlich aufhört, daß man sich in den Sitz zurückgeschmissen fühlt, so als ob man eine Vollbremsung nach einer Höllenfahrt gemacht hätte.

Im vierten Satz beginnt das Thema spielerisch, ja fast fröhlich. Die ewige Veränderung ist nicht mehr bedrohlich. Nun wirken die Modulationen fast lieblich. Aber sie sind natürlich noch da, sie sind bestimmend für das „Sein“. Sie werden gezupft und auf verschiedenste Weisen gespielt. Man muß wohl mit ihnen auskommen. Melodien, die eingänglich zu sein scheinen, folgen. Doch man kann auch sie nicht fassen, denn auch sie winden sich, wie alles Vergängliche, einfach aus der Erwartung fort und gehen einen anderen Weg. Diese Gedanken werden oft durch Generalpausen durchbrochen. Große Spannungsbögen folgen, Glorioses erklingt. Dann – endlich – erkennt man den Anfang wieder! Wie gut das tut! Ein letzter, großer Aufstieg folgt. Es ist vollbracht! Im schallenden E-Dur endet der große, ewige, veränderte, unveränderliche Weg.

Gewandhausorchester
Dirigent Daniel Harding

Solist Lars Vogt, Klavier

Ludwig van Beethoven
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 C-Dur op. 15

Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 7 E-Dur

14. Februar 2003 , Gewandhaus, Großer Saal

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