Die Welt muss romantisiert werden!

Carl Spitzweg. Reisen und Wandern in Europa und der Glückliche Winkel. Eine Ausstellung im Haus der Kunst, München

Die Bilder von Carl Spitzweg gehören zu denen, die jeder schon einmal irgendwo gesehen hat. Jedes Museum, das diese Sammelsurien von unglücklichen Poeten, Bücherwürmern, Blumenfreunden und Hagestolzen in seiner Sammlung weiß, darf sich glücklich schätzen. Um so bedauerlicher ist, wenn sich eine Sammlung von einem Bild trennt, das eines der Markenzeichen gewesen ist. Im November des vergangenen Jahres gab die Stadt Leipzig drei Bilder – darunter „Der Hagestolz“ von Spitzweg – an die Erbin der ehemaligen jüdischen Besitzer zurück. Es befand sich seit 1939 im Leipziger Bildermuseum und stammte aus der Sammlung von Henri und Martha Hinrichsen, die dem Nazi-Regime zum Opfer fielen.

Spitzweg nur als Chronisten einer Zeit zu bezeichnen, die romantisierend als gut tituliert wird, würde seinem Werk nicht gerecht werden. Spitzweg war ein passionierter Reisender, der großes Interesse an der Welt außerhalb seines ?glücklichen Winkels? in München hatte. Für seine Zeit unternahm er ausgesprochen lange und aufwendige Reisen. Neben seinen ausgedehnten Wanderungen im heimatlichen Oberbayern führten ihn seine Exkursionen auch in die Schweiz, nach Österreich, Italien, Frankreich, England und Belgien. Besuche auf der Weltausstellung in Paris und der Industrieausstellung in London (beide im Jahr 1851) öffneten ihm den Blick auf neue Motive, hier entdeckte er den Orient für seine Bilder. Besonders die neunbändige „Déscription de l’Egypte“ erwies sich als unerschöpfliche Fundgrube für neue Ideen.

Spitzweg scheute sich nicht, über den Bilderrahmen seiner Motive hinauszuschauen. So stand er dem Krieg von 1870/71 skeptisch gegenüber. Die Bilderreihe ?Friede im Lande? zeigt, wie Spitzweg die Absurdität der deutschen Kleinstaaterei und des Militärischen darstellte. Die Überflüssigkeit von Armeen, die ?über Städte und Dörfer Wache hielten?, wird besonders durch die gähnenden Soldaten, ein Motiv, das Spitzweg mehrmals variiert hat, deutlich. Oder der Kanonier, der vor lauter Langeweile einen Strumpf strickt. Eine vorweg genommene Demobilisierung. Zugleich stellt Spitzweg aber auch die martialischen Kanonen in einen scharfen Kontrast zur Landschaft, die vor allem Ruhe und Behaglichkeit vermittelt.

Eine kritische Betrachtungsweise und Darstellung der sozialen Verhältnisse hatte Spitzweg schon bedeutend früher begonnen. Aus dem Jahr 1838 stammt die Bleistiftzeichnung „Auf der Dult“. Ein junges, aufreizendes Mädchen schlendert zwischen den Marktständen. Argwöhnisch gemustert (von den Frauen), verstohlen fixiert (von den Mänenrn) zeigt Spitzweg hier die starren Regularien, die sich noch über die städtische Bevölkerung legten. Von Romantisierung ist hier nichts zu sehen.

War der Maler einmal nicht per pedes oder in der Kutsche unterwegs, so begab er sich auf seine „Reisen in die Phantasie“. Angeregt durch die Lektüre von Jules Vernes „Fünf Wochen im Ballon“ (1863) entstanden Bilder von märchenhaften Wanderungen, Begegnungen mit großen Insekten und verfremdete Wunschbilder. Symptomatisch dafür steht sein „Schmetterlingsfänger“, dem Spitzweg einen veritablen Schrecken ins Gesicht malte. Wenn er doch nur die riesigen Falter sehen könnte. Aber durch seine undurchlässige Brille sieht er nichts. Eine subtile Parodie auf das blinde Umherstolpern der Entdecker in fremden Landen, das besonders in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts begann.

In den Nachtstücken zeigt Spitzweg noch einmal sein ganzes Können. Die Darstellung von Nachtlandschaften erlebte im Biedermeier, als Relikt der deutschen Romantik, noch einmal einen Aufschwung. Dem wollte sich auch Spitzweg nicht ganz entziehen. Aber was macht er daraus! Das Firmament über dem einsam durch die Straßen wandelnden Nachtwächter, die nimmermüden Barden, die ihren Angebeteten ein Ständchen darbieten, da trollt sich ein Bär langsam in Richtung seiner wohlig warmen Höhle, das fahle Mondlicht legt Schatten auf das Gemäuer; das wirkt alles lebendig und manchmal unheimlich. Die Komposition des Lichts gerät so eindrucksvoll, als ob im Bild eine imaginäre Lampe angeknipst sei.

In Spitzwegs Tagebuch findet sich ein Satz, der sein Werk wohl am treffendsten beschreibt: „Die Welt muss romantisiert werden, so findet man den ursprünglichen Sinn wieder.“ Das ist ihm gelungen.

Carl Spitzweg: Reisen und Wandern in Europa und der Glückliche Winkel.

Haus der Kunst, München, noch bis zum 18. Mai 2003

Katalog 34,80 Euro


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