Stasiuk erzählt in klarer Sprache vom Gefängnisalltag
In Führer Ex, der Verfilmung der Autobiographie des ehemaligen Neonazis Ingo Hasselbach von Winfried Bonengel, spielt das Gefängnis als Ort der Katharsis der Hauptfigur eine wesentliche Rolle. Die Demütigung der Vergewaltigung durch einen Aufseher, das Gefühl der Hilflosigkeit ließ sich laut Hasselbach nur in der Schutzgemeinschaft der Häftlinge ertragen, die sich um einen alternden Neonazi geschart hatten. Das Gefängnis als strafrechtliche Institution ist erst relativ jungen Datums. Am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert begann sich die Haftstrafe als Form der Bestrafung herauszukristallisieren. Schon Foucault hat die unaufhörliche Disziplinierung als das entscheidende Moment des Gefängnisses beschrieben. Diese Disziplinierung funktioniert aber nur in Einklang mit den inneren Mechanismen, die hinter den Rücken der staatlichen Resozialisierung ablaufen.
Als er von einem Urlaub nicht in seine Kaserne zurückkehrte, wartete der Knast auf ihn. Bereits in Wie ich Schriftsteller wurde hat er seine Haftzeit beschrieben. Die Einsamkeit und Verlassenheit der Isolationshaft, schreibt Stasiuk, war die interessanteste Zeit seines Lebens. Auch sonst scheint er keine schlechten Erinnerungen zu haben: „Ich hätte das Gefängnis hassen sollen, aber das Gefängnis gefiel mir. Ich hätte eine Wut auf jemanden haben sollen, aber mir war das so was von egal. … Das Leben verlief in geregelten Bahnen. Das war ganz angenehm. Beinahe wie Ferien. … Einen schlimmeren Fraß habe ich im Leben nie gesehen. … Aber Kollegen habe ich nie bessere gehabt.“ Konspiration ist Ehrensache, die Meuterei das Salz in der Suppe der Tage, die Prügel sind hart und die Zellen kalt, „aber die Einbildungskraft war rege wie nie“.
Stasiuk weiß natürlich um die Aura, die den Gefängnisalltag umgibt. Schwere Jungs, Cliquen, die sich ihre Claims abgesteckt haben. Und immer wieder Gewalt. So muss er nur aufschreiben, was er gesehen und gehört hat. Da sind die Boxkämpfe in den engen Zellen, wo sich die Leiber um die Kämpfenden drängen, um für einen Moment der Tristesse zu entfliehen. Die Selbstverstümmlungen von Häftlingen, um dem Gefängnis wenigstens für Wochen zu entkommen und auf der Krankenstation zu sein. Die brutalen Aufseher, die mit ihren Gewaltexzessen die Inhaftierten malträtieren. Da sind die Vergewaltigungen der ?Pupen?, den schwächsten Häftlingen, die sich den andauernden Demütigungen nicht zu widersetzen wissen und sich ihrem Schicksal ergeben haben. Stasiuk kartographisiert das Gefängnis und die darin gefangenen Körper, beschreibt die Sehnsüchte, die hinter die Mauern reisen und in der Nacht für Momente der Erleichterung sorgen. „Die Mauern von Hebron“ machen sich nicht erst die Mühe, den Leser langsam an das Thema heranzuführen. Die Sätze kommen mit der brachialen Wucht eines Unwetters; sie entladen ihre Kraft.
Diese Einbildungskraft legt das Fundament für Stasiuks sprachgewaltiges Debüt, das jetzt auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Stasiuks Sprache ist klar und präzise. Ohne überflüssige Schnörkel. Fast könnte man meinen, man hätte einen Schulaufsatz vor sich. Zwei Wochen schreibt er, dann ist das Buch fertig. Nicht länger als die Arbeit in der Zuckerfabrik, wird er hinterher sagen. Denn Stasiuk kümmert sich nicht viel um literarische Konventionen. Er schreibt, wie er schreiben muss.
Andrzej Stasiuk: Die Mauern von Hebron
Aus dem Polnischen von Olaf Kühl
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2003
159 Seiten, 9 €
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