Arthur Miller „Tod eines Handlungsreisenden”, Premiere (Ian Sober)

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15.03.2003
Schauspiel Leipzig, Schauspielhaus

Arthur Miller
Tod eines Handlungsreisenden

Gewisse Privatgespräche in zwei Akten
Deutsch von Volker Schlöndorff und Florian Hopf

Willy LomanChristoph Hohmann
LindaSusanne Stein
BiffStefan Kaminsky
HappyAurel Manthei
Bernard Tim Ehlert
Die FrauJulia Berke
LettaTheresa Scholze
Charley Olaf Burmeister
Onkel BenMarco Albrecht
Howard Wagner Martin Reik
Stanley Sebastian Hubel
Miss ForsytheCarmen Betker
Der junge BiffTobias Roth/Hans Fenske
Der junge HappyCornelius Lipp/Jonas Jung
Der junge BernardMaximilian Berger/Johannes Wilhelm
Telefonstimme Matthias Huber

RegieMarkus Dietz
Bühne und KostümeFranz Lehr
MusikThomas Hertel
VideoOliver Iserloh
Kamera Ursula Barthold
DramaturgieCarmen Wolfram

(Fotos: Schauspiel Leipzig)


Leben irgendwie provisorisch

Der Erfolg läßt ihn im Stich. Der einst ebene Boden der Welt des Willy Loman scheint wie von einer unsichtbaren Kraft aufgebrochen. Auf seinen Bruchschollen, schiefe Ebenen, die die Bühne parzellieren, spielt sich sein Leben ab. Die vergangenen Geschehnisse sind dabei so gegenwärtig, wie die sich gerade ereignenden: Geschickt werden Rückblenden in diesen subjektiven Bühnenraum eingebaut. Fahrbahnmarkierungen ziehen sich kreuz und quer durch die Bewußtseinswelt, die Landstraße als Ort der täglichen Demütigung bleibt immer präsent. Da sehen wir Loman, wie er sich neben einer solchen Spurmarkierung liegend in schweren Träumen wälzt. Die können wir verfolgen, als Videoprojektionen auf dünnen Gazevorhängen. Die Vorhänge schaffen auch kaum sichtbare, aber umso stärker verfremdende Trennungen der verschiedenen Bewußtseinsschichten, Bühnenebenen.

Der Erfolgszwang als Thematik läßt Arthur Millers wohl berühmtestes Stück vor allem im Osten nicht unaktuell erscheinen. Einige eher für Amerika typische Motive (der obligatorische, auch bei Tennessee Williams auftretende Vater-Sohn-Konflikt z.B.) sind mittlerweile jedoch so gut bekannt, dass man die konsequent subjektivistische Interpretation von Regisseur Markus Dietz dankbar zu schätzen weiß. Das Stück gewinnt durch sie nämlich beträchtlich an Frische. Das sehr gelungene Bühnenbild erreicht die Wirkung eines direkten Blicks ins Innenleben einer zwischen Erschöpfung, Selbstbetrug und Starrsinn sich drehenden Existenz.

Loman, seit Jahrzehnten im Außendienst seiner Firma tätig, hat das fröhliche Drauflos der amerikanischen Vorstellung von Tüchtigkeit gründlich verinnerlicht. Nur leider divergieren Klischee und Lebensrealität im Laufe der Jahre immer mehr. So dankt man ihm nicht die treuen Dienste zum Wohle der Firma, sinkende Leistungsfähigkeit führt zu seiner Kündigung. Jetzt müßten die Söhne einspringen für ihn, doch die sind gründlich desillusioniert. Der eine, beruflich leidlich erfolgreich, ist ein Opportunist und Zyniker, der andere, ehemals die große Hoffnung seines Vaters, ist – am Erfolgsdruck gescheitert – ein Niemand. Das psychologisch sehr differenzierte Stück entwirrt nun das Netz aus gnädigem Selbstbetrug, in das sich der ehemalige Ernährer der Familie eingesponnen hat.

Christoph Hohmann geht in dieser Rolle auf. Zwischen den starrsinnigen Durchhalteparolen bricht die nervöse Erschöpfung durch, das Fragmentarische des zersplitterten Bühnenbilds korrespondiert dabei sehr gut zur ständigen unterschwelligen Unruhe des Protagonisten, zu seinem Bewußtsein, am Ende seiner Karriere „immer noch irgendwie provisorisch“ zu leben. Überhaupt füllen die Schauspieler in dieser überaus spannenden Inszenierung ihre Rollen sehr gut aus. Von den beiden Söhnen überzeugt vor allem der emotional agierende Stefan Kaminsky als Biff. Lomans Frau Linda schwankt zwischen ihrem Realitätssinn und der Loyalität zu ihrem Mann, und Susanne Stein gelingt es sehr gut, diese Zerrissenheit zwischen der von ihr erlernten Ehemannperspektive und ihrem eigenen Sinn für die Tatsachen wiederzugeben.

Die Darsteller bewegen sich manchmal wie Geister durch eine magisch-realistische Bühnenwelt, verharren in erstarrten Posen wie Motive in tieferen Bewußtseinsebenen, wie Symbole für ungelöste Konflikte. So z.B. Ben, der erfolgreiche Bruder, ein unerreichtes Ideal, der wie ein Showmaster mit Mikrofon die glatten Sprüche des Erfolgsmenschen verkündet und in seinem eleganten Mantel wie eine eindimensionale Spukgestalt erscheint. Oder Lomans banale heimliche Affäre, die verführerische Frau in Rot, deren gelegentliche Anwesenheit auf der Bühne sich erst allmählich erklärt. Das alles sind nur Details aus einem breiten Spektrum guter Regieeinfälle. Es ist die wirklich überzeugende Realisierung einer sehr interessanten künstlerischen Konzeption, die diesen Theaterabend so gelungen erscheinen läßt.

(Ian Sober)

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