Mit Ekkehard Klemm im Gespräch über die Müncher Uraufführung von „Das Beben” (Steffen Kühn)

„Das Beben“ Oper von Awet Terterjan
Uraufführung, 16. März 2003, Theater am Gärtnerplatz München
Oper in zwei Teilen
Libretto von Gerta Stecher und Awet Terterjan
Musikalische LeitungEkkehard Klemm
InszenierungClaus Guth
Raum und KostümeChristian Schmidt
VideoAlex Buresch, Kai Ehlers
LichtGeorg Boeshenz
DramaturgieKonrad Kuhn
ChoreinstudierungHans-Joachim Willrich, Christian Jeub
Mitarbeit RegieKai Grehn


„Warum aber Terterjan ?“ – Die Geschichte einer Uraufführung

Ekkehard Klemm war im Rahmen des Auftragswerkes der Oper Halle / Saale zur 2. Oper Awet Terterjans 1986 als Dirigent vorgesehen; Claus Guth gefragter Regisseur zeitgenössischen Musiktheaters trifft 2001 zufällig auf eine Kritik in der Süddeutschen Zeitung über die Sinfonien Awet Terterjans. Beide sind 2001 u. a. tätig am Gärtnerplatztheater in München. Man kommt ins Gespräch trifft auf einen kreativen Intendanten – die Geschichte einer Uraufführung.

Zum Komponisten:
Awet Terterjan 1929 in Baku geboren nimmt 1948 ein Studium der Musik an der Musikhochschule in Baku auf. Er lehrte selbst seit 1957, seit 1983 war er ordentlicher Professor. Komponiert hat er die meisten seiner Werke in kreativer Einsamkeit in einem Cottage der Wohnanlage des Armenischen Komponistenverbandes in Dilidschan, ab 1989 in seinem Haus am Sewansee im armenischen Hochland. Das Schaffen Terterjans ist singulär. Verhaftet im vorderasiatischen Kulturkreis und in der armenischen Landschaft, doch abseits folkloristisch Tendenzen ( z. B. Chatschaturian ); minimalistisch in diesem Sinne auch modern, doch mit gewichtigem philosophischen Überbau beispielsweise „die Polyphonie des einzelnen Tones“ – ein zentraler Gedanke. Musik ist für Terterjan immer auch ein Geheimnis und hier schöpft er aus dem historischen Gedächtnis seinen Heimat, aus den Überlieferungen seines Volkes, welche immer auch mit der Landschaft zum Beispiel dem biblischen Berg Ararat verbunden sind. Wie ein Seismograph reagiert er auf verborgene Bewegungen und Entwicklungen.

S.K.: Du hast doch mal erzählt, daß Terterjan das spätere Erdbeben in der Region vorausgeahnt hat.
E.K.: Terterjan hatte Schreckensvisionen, was auch im Werk beglaubigt ist, beispielsweise in der 7. Sinfonie. Selbst wenn man bedenkt, daß dieses Gebiet für Erdbeben prädestiniert ist gingen doch seine seismographische Gabe über Naturereignisse hinaus. Ich kann mich noch an Gespräche während des Besuchs erinnern als er auch von gesellschaftlichen Ein- und Umbrüchen sprach.

Zum Dirigenten:
Ekkehard Klemm nach Kreuzchor und Musikhochschule in Dresden und ersten Erfahrungen am Theater in Altenburg ab 1988 Chefdirigent am Theater Greifswald. Seit 1996 als Dirigent am Theater am Gärtnerplatz in München, seit 1999 deren geschäftsführender Chefdirigent. In allen Schaffensperioden eng mit neuer Musik verbunden, in Greifswald vor allem mit nordeuropäischer Musik – Uraufführungen von Werken von E. Rautavaara. 1986 war er für die Uraufführung des Werkes vorgesehen und hat in diesem Zusammenhang Terterjan in Jerewan besucht.

E.K.: Ich konnte damals mit der Partitur nicht viel anfangen, erst nachdem uns Terterjan einige Stellen vorgespielt / erläutert hat bekam ich eine Ahnung von der Kraft und den Erschütterungen des Werkes.
S.K.: Wie wirst Du denn nach diesen Erfahrungen die anderen Stücke Eures Repertoires über die Bühne bringen?
E.K: Ja ( lacht ), morgen Probe „Zar und Zimmermann“, Mittwoch wieder „Beben“ danach „Vogelhändler“; aber das ist ja gerade das Spannende unseres Hauses und in all meinen Produktionen wirst du etwas Neues oder Provokantes finden.

Zum Zeitpunkt der Uraufführung:
Ob es Zufall war, man weiß es nicht. Claus Guth rennt bei Ekkehard 2001 offene Tore ein, als er aufgrund einer Kritik auf Terterjan gestoßen ist. Die Begeisterung der beiden überzeugt schließlich auch den Intendanten Klaus Schulz. Und vielleicht gerade weil das Haus für das zu klein ist, wird eine ungeheure Kreativität freigesetzt, um das Werk aufzuführen.

E.K.:………..gerade jetzt im Angesicht des Irakkonfikts hat das Stück ja eine ungeheure Brisanz. Ich glaube damals wäre das Stück wohl im Rahmen der verordneten deutsch – sowjetischen Freundschaft subsumiert wurden. Auch ich bin ja in einer ganz anderen Verfassung zur Interpretation des Stückes als 1986 – ich als junger Kapellmeister……… Man braucht eine unwahrscheinliche Konzentration und innere Ruhe um diese Zeiten auszuhalten. So haben die Streicher im ersten Bild einen Ton fast 20 Minuten zu halten.

Zum Inhalt:
Den Stoff zur Oper lieferte Heinrich von Kleists Novelle „Das Erdbeben von Chili“. Eine hochwohlgeborene Dame in der Hauptstadt Santiago des Königreichs von Chili hat um 1647 einen nicht ebenbürtigen, weil armen Hauslehrer zum Geliebten und Vater Ihres Kindes. Zuerst nach Bekanntwerden der Verbindung „nur“ ins Kloster verbannt, soll Sie nach der Geburt des Kindes verbrannt werden. Die unerbittlichen Dogmen und Gebräuche der katholischen Kirche führen Sie nach Abmilderung der Strafe in „bloße“ Enthauptung zum Richtblock. Doch gerade im Moment als der Henker seine barbarische Tat vollstrecken will wird die Stadt von einem ungeheuren Erdbeben heimgesucht. Die junge Mutter und auch ihr Geliebter im Kerker überleben das (Un-) Glück. Nach den Erschütterungen ergibt sich für das Paar eine neue Perspektive – ohne Dogmen, Besitz- und Standesunterschiede wird den beiden vorerst Hilfsbereitschaft und Verständnis entgegengebracht. Doch während der Messe im Dom – dem Dankgottesdienst der Überlebenden werden die beiden von der aufgeputschten Menge getötet.

Kleist hat in dieser Novelle äußerst kurz, ja fast im Stil einer Reportage eine Welt und Ihre Umwälzungen lebendig werden lassen. Fast der ideale Opernstoff. Aber Terterjan wäre nicht Terterjan……….mit dem ersten Entwurf des Librettos von Renate Stecher war Terterjan nicht zufrieden. Er reduziert den Stoff radikal: SIE wartet auf ihre Hinrichtung, wird vom Beben vorerst erlöst. Der CHOR klagt an, in Hysterie und Dogmen verfallen tötet man SIE während der heiligen Messe. ER kann die Geschehnisse nur ohnmächtig kommentieren.

S.K.: Wie kam ein armenischer Komponist eigentlich zum Kleist – Stoff ?
E.K.: Zuerst hat Terterjan „Mutter Courage“ als Stoff für seine 2. Oper im Sinn gehabt. Gescheitert ist das dann an den Brechterben, es gab Probleme mit den Rechten. Man kam dann in Halle zum „Erdbeben von Chili, Gerta Stecher erarbeitete ein Libretto, was aber von Terterjan radikal zusammengestrichen wurde.

Zur Musik:
Awet Terterjan arbeitet in „Das Beben“ wie in seinen Sinfonien mit Geräuschen meist Bläser, welche Signale, Richtung geben und Klangflächen den Streichern. Die einzelnen Komponenten bleiben Fragment, erst durch das Über- und Nebeneinanderlegen dieser verschiedener Flächen ergibt sich die unmittelbare oft überwältigende, ja physische Erfahrung der Musik des Armeniers. Terterjan gliedert die Töne in kleinste Einheiten. Das Erlebnis wird bilderlos ja elementar. Manchmal sind Parituranweisungen erst durch eine Reise in die Welt des Komponisten zu entschlüsseln.

S.K.: Viele Dinge haben sich wohl erst während der Proben ergeben ?
E.K.: Ja, zum Beispiel am Ende des dritten Bildes steht in der Partitur „glöckeln“. Ich wußte lange nicht was wir da machen sollten; schließlich haben die Toningenieure Einspielungen von Glocken gebastelt. Ich war aber die ganze Zeit nicht zufrieden damit, zumal das dritte Bild ja keine anderen Einspielungen hat. Ich sprach dann mit Kai Grehn darüber. Kai Grehn war ja während der ganzen Zeit sozusagen unser rotes Telefon zu Terterjan. Er hat 1994 während des Aufenthalts Terterjans auf Schloß Wiepersdorf und dann darüber hinaus einen engen Kontakt zu den Terterjans gehabt. Er sagte: “ Du kennst doch dieses Glockenspiel vor Terterjans Fenster“. Die Schuppen fielen von den Augen……. jetzt wußte ich wie wir die Stelle angehen konnten; ich besorgte die Glocken und in der Hauptprobe dann die Idee, daß alle Schlagzeuger im Raum in unregelmäßigen Abständen 20 Minuten dieses „glöckeln“ erzeugen.

Auch werden bekannte Motive so verfremdet, daß sie plötzlich völlig offen sind. So gibt es ein Quintenmotiv der Hörner, welches durch Klarheit und Wiederholungen ein archaischen eben nicht konkretes Hören erzeugt. Terterjan will nicht erzählen – seine Musik ist nur Plattform, quasi das „set“ den „plot“ müssen die Interpreten ja auch die Rezipienten liefern. Schön in diesem Zusammenhang die Ansprache der Witwe Terterjans zur Premierenfeier:“ Er hat gewollt, daß die Musiker und die Zuschauer alle Komponisten an seinen Stücken werden“

E:K.: Eine Ähnliche Geschichte war die mit den Kontrabaßtrommeln. Ich wußte, daß wir die unbedingt brauchen und habe dann die Beschaffung der vier 1,50 m Trommeln organisiert.
S.K.: Die Trommeln sehr sparsam eingesetzt sind ja auch unerhört wichtig in der Oper als auch im Schaffen Terterjans.
E.K.: Genau, bei den Sinfonien ging es mir immer so, daß du förmlich auf die nächste archaische Eruption wartest. Im Kontrast mit den lang anhaltenden Klangteppichen eine ungeheure Wirkung.

Axel Nixdorf hat in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung, dem Artikel welchen auch und vor allem Claus Guth gelesen hat gesagt, daß Terterjan Rätsel komponiert, welche sich ohne Antwort als Fragen selbst genügen. Entfernt auf der einen Seite von westlichen Künstlichkeit andererseits von Resignation und Beliebigkeit fasziniert Terterjans Musik durch eine ungeheure Kraft, welche ohne Frage- aber auch ohne Ausrufezeichen auskommt.

Zur Inszenierung:
Claus Guth und Ekkehard Klemm haben in exzellenter Weise den Geist des Werkes erfaßt und gemeinsam mit ihrem Team einen sehr konzentrierter Rahmen geschaffen. Die Oper verläuft bis zum 3. Bild nahezu konzertant. Auf vier Podesten agieren SIE und ER. Der CHOR ist im ganzem Theater verteilt ja wie überhaupt das ganze Haus auf den Kopf gestellt ist. Der gesamte Zuschauerraum ist überbaut und schafft Raum für die Bühne und das gewaltige Orchester. Der Chor ist bis zum 4. Bild auf den Rängen und der eigentlichen Bühne verteilt. Zuschauer sitzen auf der Bühne und in den Rängen zwischen den Sängern und Sängerinnen.

Das 1. Bild beginnt konzertant. SIE und der CHOR versichern sich ihre konträrer Standpunkte. SIE auf der Bühne, welche aus vier Podesten besteht, die kreuzförmig angeordnet sind. Der CHOR im Zuschauerraum und in den Rängen verteilt. Die Streicher legen erste Geräuschflächen eruptive Entladungen mit Trommeln und Blasinstrumenten. Der Stoff wird durch die Anordnung der Sänger quasi physisch erlebbar. „Enthauptung“ ruft es von allen Seiten, daß die Ränge buchstäblich beben.

Verstärkt werden die Gefühle / Handlungen des Volkes ( CHOR ) durch einen von Claus Guth geschaffenen Tänzer mit überdimensionaler Maske ( Ken aus der Barbiewelt ), welcher in Tradition eines Harlekins den Gefühlen, vor allem den Niederen ohne Rücksicht auf Konventionen freien Lauf lassen kann. Zum Beispiel auch in Dessaus Oper „Einstein“ wurde mit der Figur des „Hans Wurst“ im Musiktheater eine Figur als Inkarnation des Volkes dramaturgisch exzellent eingesetzt.

Nachdem „Enthauptung“ ausgesprochen wurde, steigert sich das Volk in immer hysterischere Formen. Solostimmen aus allen Richtungen, das Volk tuschelt, Klangflächen werden durch Pauken unterbrochen, der Tänzer tobt über die Bühne. Dann die Vorbereitung der Hinrichtung. Zaghafte Streicher begleiten das Entfernen der Haare, nachdem SIE schon ausgezogen wurde. Das Volk dagegen stampft- von den Pauken unterstützt und springt auf. Bläser mit drückenden Tönen verbreiten Angst und Terror. Sehr elementar transportiert die Inszenierung hier die menschliche Ambivalenz zwischen Schrecken und deren Faszination. Dann das Beben: natürlich die vier Kontrabaßtrommeln und weitere Einspielungen lassen die Welt zerbersten. Schmerzvoller Tanz, Ken ist blutverschmiert und in Angst erstarrt. Nach einem ruhigen 3. Bild findet sich das Paar. Die vier Podeste fahren zu einem Kreuz zusammen.

S.K.: Außer im Kreuz des Bühnenbildes wird das Thema Religion nicht explizit thematisiert, es geht wohl mehr um die Macht der Massen.
E.K.: Das Kreuz ergibt wohl nur als Symbol unter vielen als Summe einen Sinn. Anliegen war nicht zu zeigen, daß die Kirche Menschen zugrunde richtet, obwohl ja gerade zur Zeit der Novelle die Kirche inquisitorisch und vernichtend auftritt.
S.K.: Das hätte ja mehr herausgearbeitet werden können.
E.K.: Das war aber nicht gewollt. Wir hatten die Idee eines Kammerspieles, auch und vor allem weil ja unser Haus viel zu klein ist. Was nicht dargestellt werden konnte sollte durch Video ersetzt werden. Während der Proben dann die Idee der Podeste als Projektionsflächen. Ja was sieht man denn nun eigentlich ? Von meinen Pult kann ich fast nichts sehen.
S.K.: Wasser, Regentropfen, Darstellungen von Blüten / der Natur im 5. Bild………und schließlich Kerzen zur Messe.
E.K.: Geplant waren anfangs beim Beben Darstellungen vom zerstörten Berlin, aber das wurde wahrscheinlich gestrichen………..
S.K.: was dem Stück sehr gut getan hat. Gerade diese Abstraktion der Videosequenzen war ungeheuer wirkungsvoll. Hat denn Claus Guth vor Beginn der Proben ein fertiges Konzept gehabt ?
E.K.: Ich kenne Ihn jetzt von verschiedenen Produktionen. Fernsehproduktion des „Wildschütz“, vom „Liebesentzug“ und vom „Revisor“. Bei diesen Arbeiten hatte er immer den groben Rahmen bereits fertig, vor allem schon sehr genaue visuelle Vorstellungen zusammen mit seinem Bühnenbildner Christian Schmidt, der wohl auch die Idee hatte das Theater umzudrehen und die Zuschauer auf die Bühne zu setzen. Also vor Beginn der Proben war das bereits alles klar.

Hier weiter zu dokumentieren würde den Rahmen sprengen. Terterjans Kunst ist so elementar, daß der Versuch sie zu beschreiben kläglich bleiben muß, vergleichbar der Aussichtslosigkeit beispielsweise die Farbe „rot“ erklären zu wollen – man muß es gesehen vor allem gehört haben.
Am Ende dann frenetischer Applaus, die Anzahl der Vorhänge war nicht zählbar, da in der Konzeption von Klemm / Guth der Vorhang buchstäblich keinen Platz hatte.

Das Gespräch führten Ekkehard Klemm und Steffen Kühn am 17. März 2003 in Burgstall bei München.

( Steffen Kühn )

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