Pater noster, unser tägliches Brot gib uns heute

Volly Tanner & Co. in der Wiederholung der „1. Paternosterlesung der Welt” im Neuen Rathaus

Licht war in dem Zimmer,
wie das, was wir mit Füßen treten,
manchmal leuchtet.
Brigitte Struzyk

Es ist Frühlingsanfang, und die Fahnen vorm Neuen Rathaus hängen auf Halbmast. Wir dachten, es sei lange her, aber es gab wieder einen Morgen mit Krieg. Der Paternoster startet am Abend auf Knopfdruck, wir sitzen im Neonlicht, rechts geht es hoch, links runter, eine Endlos-Dynamik, Kabinen aus Sprelacart, Weiterfahrt über den Boden oder durch den Keller ungefährlich. Schweigend getragen von den Darstellern ziehen beschriebene Schilder vorbei: Protest gegen den Förderstopp im Kulturbereich und noch aktueller: Literarische Miniaturen zum Thema Krieg. Mal „Kurzröckig“, mal „bügelfaltig“ werden Goldschürfereien und Schmunzeleien vorgetragen oder social beat Gedichte im Sinne seiner Erfinder in Bewegung ausgefochten. Texte z.B. von Beatrix Haustein und Ralph Grüneberger, in denen es um Beziehungen bis hin zu Missbrauch geht, um Dinge, die man hören oder nicht hören will; den einzigen roten Faden bildet die schwung- und gefühlvolle Musik. Das Akkordeon folgt der Geige oder die Geige dem Akkordeon, ein Zusammenspiel im gegenseitigen Erahnen. Die Paternosterlesung ist ein ungeschlagen originelles Unterfangen, ein Klang- und Seherlebnis, das einen profanen Ort verwandeln kann. Menschen, die den urtümlichen Aufzug jeden Tag besteigen und solche, die noch nie mit ihm gefahren sind, können hoffentlich einer Neubelebung im nächsten Jahr beisitzen, wenn die spezielle Dramaturgie, die Angemessenheit von Füllung und Leerlauf und die Auswahl der Texte noch erprobter sein werden.

Pater noster, unser täglich Gedicht gib uns heute
Volly Tanner & Co. in der Wiederholung der „1. Paternosterlesung der Welt“
am 21.03.03 im Neuen Rathaus

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