Lesung zur Buchmesse: Jana Hensel: Zonenkinder (Friederike Haupt)

22. März 2003, 19.30 Uhr, Spizz
Lesung zur Buchmesse: Jana Hensel: Zonenkinder

Wer zuletzt lacht, lacht im Westen
Jana Hensels Zonenkinder lassen sich im Spizz feiern

Worum es geht? Es geht um eine Zeit, in der man auf die Frage ?Hallo, wie geht’s?? nicht mehr ?Ist doch klar, über Ungarn!? sagen kann, ohne komisch angeguckt zu werden; eine Zeit, in der das Sprichwort ?Erich währt am längsten? plötzlich hinfällig wird und Plaste auf einmal Plastik heißt.

Eine Mauer weniger auf der Welt, und 17 Millionen Menschen können das Wort ?rübermachen? aus ihrem Wortschatz streichen: Der Westen kommt von selbst zu ihnen, und alles wird anders. Naja, fast alles. Fragen wir Jana Hensel, die kennt sich aus. 1976 in Leipzig geboren, erlebt sie die Wende als Teenager in einer sowieso von Veränderungen geprägten Lebensphase. ?1000 Meter Stacheldraht, / Panzerminen im Quadrat. / Rat mal, wo ich wohne: / Natürlich in der Zone.? ? so was ist Vergangenheit. Wie war das damals, Frau Hensel, als die Bananen endlich kamen und die große Freiheit?

Mit ihrem Bestsellerbuch Zonenkinder hat sich die Autorin am Samstag im Spizz eingefunden, um dem Publikum einen Einblick zu gewähren in die ostdeutsche Post-1989-Ära. Die zahlreich vor den TV-Schreckensmeldungen geflohenen und nur allzu lachbereiten Zuschauer drängen sich in den rot beleuchteten Raum, erwartungsfroh und erinnerungsgierig und sicher auch wartend auf den ?Die kenn ich doch aus der Zeitung? ? Effekt (welches bedeutende Feuilleton hat Hensels Buch nicht rezensiert?).

Um es gleich vorab zu sagen: Die Erwartungen werden erfüllt, das Zonenkinder-?Wir? zieht sich durch die ganze Lesung, und fast ist es peinlich, nicht im Osten gelebt zu haben, als der noch DDR hieß. Wäre man damals dabei gewesen, als die Abspiel-Taste am Kassettenrecorder in Play-Taste und die Kaufhallen in Supermärkte umbenannt wurden, könnte man wohl besser verstehen, was es heißt, Touristin im eigenen Leben zu sein.

Generation Golf vs. Generation Trabbi, das ist der Grundkonflikt, der in Zonenkinder thematisiert wird. Plötzlich ist der Westen da, und die Orientierungslosigkeit der Eltern kollidiert mit dem Anpassungswunsch der Kinder. Die Erinnerungen und Erfahrungen der Älteren sind wertlos geworden für die Jugend, die ?zu jung, um zu verstehen, aber zu alt, um wegzusehen? ist, aber auf keinen Fall den Anschluss verlieren will und alles, was aus dem Westen kommt, begierig aufnimmt. Als ?Söhne und Töchter der Verlierer? fühlen sie sich und suchen nach Hilfen im Nachwendealltag, in dem die Eltern nicht angekommen sind. Die ?ersten Wessis aus Ostdeutschland? auf Identitätssuche im Niemandsland.

Jana Hensel liest, wie sie schreibt: Lakonisch und ironisch. Ab und zu sabotiert das Mikro durch plötzliches Abknicken den Vortrag, aber irgendwie passt das sogar zum Text: Zonenkinder sind es nicht gewohnt, dass man sie versteht. Die Autorin zum Besitzer eines penetrant klingelnden Handys: ?Wollen Sie vielleicht kurz drangehen?? Nach dem Motto: Unterbrechen Sie mich ruhig, Zuhören ist nicht jedermanns Sache. Schon gar nicht, wenn’s um ?uns? geht, für die Mecklenburg noch heute die Toskana ist und New York eine käufliche Stadt.

Im letzten Kapitel von Zonenkinder, ?Go West? betitelt, wird ein Blick in die Jetztzeit gewagt: Man merkt, dass der lange verleugnete sächsische Dialekt doch nicht so schlimm ist und Begeisterungsäußerungen wie ?Das fetzt urst!? auch ein wenig Individualität transportieren. Dass die einstige Bückware (unter dem Ladentisch versteckte seltene Westprodukte in ostdeutschen Geschäften) jetzt überall zu haben ist, macht allein auch nicht glücklich, und Scherze über den Weihnachtsengel als ?geflügelte Jahresendfigur? fehlen vielleicht sogar manchem.

Für die Generation Hensels, die nur Gast in ihrer Heimat, dem Osten, war und den großen Rest ihres Lebens in der BRD verbringen wird, sind diese Erinnerungen wichtig. Über das Gestern zum Morgen oder so. Die Zuschauer, größtenteils mit ähnlichem Hintergrund wie die Autorin, sind jedenfalls begeistert, lachen über ihre Eltern und sich selbst und feiern ihre Erinnerungen, die sie jetzt zu was Besonderem machen. ?Good Bye Lenin? im Kino sehen ist wichtig, und Zonenkind sein ist heute gut.

Danke, Frau Hensel, für den Schnappschuss eines Generationsporträts. Die DDR ist tot, es lebe die DDR.

(Friederike Haupt)

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