Leben und stilleben lassen

Die Uraufführung eines „Stillebens” von Markus Zahnhausen in der Gewandhaus-Kammermusik im Mendelssohn-Saal

Auch für die Musik werden mitunter „Stilleben“ geschaffen. Unter diesem Titel steht jedenfalls ein Streichquartett von Markus Zahnhausen (geb. 1965), das vom Gewandhaus-Quartett in Auftrag gegeben und in der jüngsten „Gewandhaus-Kammermusik“ uraufgeführt wurde. Zahnhausen geht es dabei freilich mehr um die Stille als solche als um die Transformation eines Sujets aus der Bildenden Kunst.

Sirenenhaft beginnt die erste Violine in den denkbar höchsten Lagen. Ein geheimnisvolles Pfeifen, als würde der Wind eine vergessene Weise aus vergangenen Zeiten herüberwehen. Zweite Violine und Viola nehmen das Motiv auf, machen es irdisch greifbar und die Musik verdichtet sich wenig später in einer rhythmisch prägnanten, tanzähnlichen Passage. Nun greift das Cello, wild und fast improvisatorisch anmutend, in das Geschehen ein. Damit wird das Lied, das bisher nur andeutungsweise verarbeitet war, im Spiel der Viola sozusagen mit Händen greifbar. Es handelt sich um die alte Weise „Geseg’n dich Laub, geseg’n dich Gras“.

Danach löst sich das musikalische Gebilde wieder auf, verliert sich erneut in kraftvollen, anarchischen Ausbrüchen, die nun alle Stimmen erfassen, bis am Ende die Melodie von der ersten Violine über die hohen Lagen ins Nichts getragen wird. Doch zugleich baut sich im Cello etwas Neues auf, ein langer kantabler Abschnitt folgt in schönem Zusammenspiel von zweiter Violine, Viola und Cello. Diese kunstvolle und harmonische „Kammermusik“ wird in Frage gestellt durch dissonante Reibungen, die zu einer Art Zusammenbruch führen. Wieder muss das Cello einen kantablen Neubeginn initiieren, ein Violinsolo kündet von dessen Erfolg, die anderen Instrumente geben dem Liedhaften lediglich noch eine tonliche Stütze. So erleben die Zuhörer einen besinnlichen und harmonischen Ausklang.

Diese ohne vordergründige Effekte auskommende, sehr sympathische Musik, die unmittelbar anspricht und auf ruhige, fast meditative Weise dissonante und harmonische, tonliche und klangliche Elemente verarbeitet, wird durch einen ungemein herzlichen und lang anhaltenden Applaus belohnt.

Zusätzlich geadelt wurde dieses Streichquartett von Markus Zahnhausen durch die beiden anderen Werke des Konzerts, die zu den Juwelen der Streichquartettkunst gehören. Beethovens letztes Werk dieser Gattung ist eines der großen Rätsel der Musik, die nur durch eine überzeugende Interpretation gelöst werden können. Souveränität und Solidität allein, die das Gewandhaus-Quartett zweifellos auszeichnet, sind da noch nicht genug. Zwar gelang im zweiten Satz eine leise und samtene Virtuosität, aus der heraus ein dichtes und filigranes Klanggebäude entstand und auch der Schluss-Satz zeigte eine imposante Entwicklung vom dramatischen Beginn zur heiter enthobenen Leichtigkeit des Schlusses, aber ansonsten verstörte eine seltsame Kraft- und Spannungslosigkeit. Das Werk zerfiel in viele separate Abschnitte und wirkte dadurch wie ein zerbrechliches archäologisches Fundstück.

Solcherart Müdigkeit im Spiel ist bei Janáceks Musik undenkbar. Sie zwingt ihre Interpreten geradezu, die letzten Energiereserven zu mobilisieren. Und so gelang den Mannen um Frank-Michael Erben eine temperamentvolle Deutung der „Intimen Briefe“, die trotz aller Zartheit vor allem von großer Leidenschaft geprägt sind. Nachhaltig konnte sich diese Musik im Gemüt der Zuhörer festsetzen und entließ sie freudig bewegt aus einem interessanten Konzert, dessen klug zusammengestelltes Programm für einen gut gefüllten Mendelssohn-Saal gesorgt hatte.

Gewandhaus-Kammermusik

Ludwig van Beethoven, Streichquartett op. 135
Markus Zahnhausen, Stilleben für Streichquartett (UA)
Leos Janácek, Streichquartett Nr. 2 „Intime Briefe“

Gewandhaus-Quartett

23.03.2003 Gewandhaus, Mendelssohn-Saal

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