Lesung zur Buchmesse: Heinz Rudolf Kunze liest aus seinem neuen Buch „Vorschuß statt Lorbeeren” (Babette Dieterich)

23. März 2003, Kabarett Leipziger Pfeffermühle

Lesung zur Buchmesse:
Heinz Rudolf Kunze liest aus seinem neuen Buch ?Vorschuß statt Lorbeeren?, CH. Links Verlag


?Sprache ist ein Scheitern, das der Rede wert ist?

Das gilt zumindest für Heinz Rudolf Kunze, der bravourös mit der Sprache spielt, hohle Worte ausfüllt, Aufgeblasenem die Luft rauslässt und immer wieder mit Doppeldeutigkeiten die doppelten Böden unserer Zeit spürbar werden lässt. Er provoziert, schmäht, ironisiert. Noch schwärzer und noch bissiger als in seinen drei bisherigen Büchern im CH. Links Verlag präsentiert er sich heute in der Leipziger Pfeffermühle. Trotz Probenstresses für sein 21. Album (!), Rückenwind und Frühaufstehen, was dem bekennenden Langschläfer nicht gerade leicht fällt, trotz der von Moderatorin Edda Fensch angekündigten stimmlichen Indisposition, wirkt Kunze frisch und böse.

Als erstes bekommt die grassierende Kritiklosigkeit ihr Fett ab: ?Alles ist toll, ich bin Fan von allem? säuselt Kunze und lächelt zuckersüß. ?Ich will mich nicht mehr streiten?. Dann streitet er sich aber doch, schlägt eine Bresche ?pro stupidita?, weil man mit Klugheit nicht weit kommt, entdeckt den ?Hodensack als Führerbunker der Seele?, auch die Politik scheint nur (macht)triebgesteuert zu sein. Da hilft nur noch eins: ?Schaut den Tieren in die Augen, sie scheinen für uns zu beten.?

Alle bekommen ihr Fett, die selbstgefällige Regierung wird genauso wenig verschont wie Alt-Nazis. ?Reich ins Heim? heißt die grandiose Persiflage auf diese ?Todestriebtäter? und ?untoten Germanen?, diese Fans der ?überhäkelten Klopapierrolle?. Spiel mit Klischees, gewiss, aber ein gekonntes, bitteres Spiel, bei dem einem das Lachen im Halse stecken bleibt.

Doch bei allem Sarkasmus bleibt bei Kunze die Selbstironie nie auf der Strecke. ?Ich liebe meine Strümpfe, das ist ein durch und durch positiver Text?, tönt es showmasterhaft lächelnd von der Bühne. Das Gedicht ?Hochzeitstag?, zunächst wie die Hasstirade auf die langjährige Ehefrau angelegt, wandelt sich in bittere Selbstkritik: ?Ich hasse dich wie mich selbst?. Hass oder Liebe, ?das läuft für Langstreckenläufer auf dasselbe hinaus.? Nicht ohne Koketterie spielt Kunze gerne auf sein Aussehen an: ?Ich möchte so gut aussehen, wie mein Talent es verdient.? Ernsthaft und selbstbewusst spricht er ein paar Gedichte später davon: ?Schritt halten möchte ich nicht, sondern mein eigenes Tempo.?

Dieses eigene Tempo hat er, mit diesem reißt er das Publikum mit. Aktueller denn je sein Schlussgedicht, anlässlich des 11. September entstanden. Darin verlangt er ?Nachdenktage?, denn ?Schweigeminuten reichen nicht?. Und wieder ist es ein Wortspiel, das die traurige Pointe des Gedichtes bildet: ?Feuer einstellen, sonst müssen wir uns aufs Feuer einstellen.?

Heinz Rudolf Kunze sieht seine Bücher als Dokumente, vor allem ?Ungereimtes?, das sich nicht singen lässt, findet darin Eingang. Edda Fensch vom CH. Links Verlag war überrascht und beinahe ein wenig verärgert über die Fülle der neuen Texte, die Kunze bereits bei dieser Lesung untergemogelt hat und die nicht in seinem neuen Buch enthalten sind. Der Mann ist eben produktiv und lässt sich nicht von Verlagsvorgaben einschränken.

In der Abschlussdiskussion stand Kunze dem Publikum Rede und Antwort. Warum er nicht in die Politik gehe bei seiner Weitsicht? Da müsse man zu viele Abstriche machen, ermüdende Kompromisse. Auch sei die Macht zu verführend, er wolle nicht in Verlegenheit geraten. Auf den teilweise sexuellen Inhalt seiner neuen Gedichte angesprochen, meinte Kunze schmunzelnd, das sei die Krise Mitte vierzig.

Doch Kunze ist weit davon entfernt, in der Midlifecrisis zu versumpfen. ?Sich Neugier gönnen? ist sein Stichwort. Darum arbeitet er momentan mit einer neuen Band, alles Musiker, die rund zehn Jahre jünger seien als er. Viel Erfolg und ?Rückenwind? für die gleichnamige Tournee kann man diesem unbequemen Beobachter und Wortverdreher nur wünschen.

(Babette Dieterich)

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