Posaunen als supermoderne Instrumente?

Studentenensemble „Trombo Nova” spielt Maupoint-Uraufführung und weitere Werken der Moderne in der Musikhochschule

Posaunen sind so alt wie die Bibel und entfalten ihre Kraft vom Fall der Mauern um Jericho bis hin zur Vision vom Jüngsten Gericht – vorausgesetzt man folgt der Lutherschen Übertragung des Buches der Bücher. Nach Forschungen des Leipziger Musikwissenschaftlers Heinrich Besseler hingegen entwickelte sich das im Bau bis heute kaum veränderte Blechblasinstrument etwa in der Mitte des 15. Jahrhunderts. In der sächsischen Messestadt wurde es 1599 im Zusammenhang mit dem Turmblasen erstmals urkundlich erwähnt.

Von dieser Aura allerdings war vorerst kaum etwas zu spüren, als Lars Proxa, Hendrik Reichardt, André Stemmler und Ryutaro Horie ihr erstes öffentliches Konzert mit vier Stücken aus Kazimierz Serockis „Suite für 4 Posaunen“ eröffneten. Mit rhythmischer Verve, harmonisch untersetzter Farbenpracht, knalligen Tonrepetitionen und effektvollen Glissandi deuteten die Musiker vielmehr sofort darauf hin, dass sie sich – im wahrsten Sinn des Wortes – um neuen Wind innerhalb der Kammermusik bemühen und ihr enorm flexibles Instrument gerade im Zuge der zeitgenössischen Musik noch an Attraktivität und Aktualität gewonnen hat.

Als schöne Reverenz an ihren gemeinsamen Hochschullehrer, Professor Rolf Handrow, brachten die zumeist noch heute von ihm betreuten jungen Interpreten anschließend dessen „Sechs Skizzen für vier Posaunen“ zu Gehör. Dabei gefielen besonders die verschmitzten Anklänge an den Jazz sowie die unglaublich zarten, höchst einfühlsam modellierten langsamen Sätze. Danach folgten mit der Uraufführung von „Four pieces for four trombones“ der jungen Japanerin Aya Okajima und den „14 Epigrammen für drei Posaunen“ des Österreichers Horst Ebenhöh weitere Werke der gemäßigten Moderne.

Für einige Aufregung und echte Überraschung sorgte schließlich Ryutaro Horie mit Folke Rabes „Basta for trombone solo“, denn der schon 1996 für sein Spiel in seiner japanischen Heimat ausgezeichnete Student lief gewissermaßen Amok. Er schoss mit schmetternden Tönen um sich und geriet dann in einen ausdrucksstarken inneren Dialog voller Zwiespältigkeit, Zerrissenheit und Ambivalenz, so dass seine Tongebung oft völlig aus dem vertrauten Rahmen fiel und seinem Instrument ein supermodernes Ambiente verlieh. Mit Crescendo-Wirkungen bis an die Schmerzgrenze anhand von Raymond Premrus „In Memoriam“ sowie programmatisch legitimierten Klangreizen der „Chemical Suite“ von Jan Van der Roost, die von der Illustration des Glyzerins bis zur Wirkung des Chloroforms reichten, setzte „Trombo Nova“ diese Tendenz zum Experimentellen fort.

Den Höhepunkt des Konzerts freilich brachte die Uraufführung von Andrés Maupoints Komposition „Giritsu für Posaunenquartett und Klavier“. Der aus Chile stammende Wahl-Leipziger erinnert darin offenbar an eine Klangsphäre der Posaunen, die Übernatürliches, Religiösen assoziierbar werden lässt und so schon in Opern von Monteverdi bis Mozart zu finden ist. Wenn dynamisch raffiniert differenzierte Posaunenglissandi einen ungedämpften Flügel zu eigenartig bewegtem Nachhall aufschaukeln und der abgedunkelte Kammermusiksaal den Blick in faszinierender Weise auf die Orgel lenkt, kommen frappierende akustisch und optisch angeregte Raumwirkungen zustande, die den mit „Ritual“ übersetzbaren Titel in unmittelbares Empfinden verwandeln. Archetypische menschliche Bedürfnisse und gekonnte musikalische Gestaltung verfließen dabei zu einer Einheit, die Altes und Neues miteinander verbindet wie letztlich alle wirklich gute Musik.

Studentenensemble „Trombo Nova“

Maupoint-Uraufführung

27. März 2003, Hochschule für Musik und Theater Leipzig


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