„See you” von Lara Kugelmann

26.04.2003 Schaubühne Lindenfels

See you
von Lara Kugelmann

Konzeption: Lara Kugelmann, Anka Baier, Gyuri Barkoczi
Projektteam: Anka Baier, Gyuri Barkoczi, Erol Sakinc, Pernile Sonne, Florian Knoblich, Birgit Schöne, Bernd E. Gengelbach, Ingo Köcher, Thomas Hollick

Eine Koproduktion der Schaubühne Lindenfels Leipzig und des Theatrale Halle in Zusammenarbeit mit Dock 11, Berlin


Sinnestätig

Zu Beginn, im Raum, ist Dunkel. Schritte, erst einige schnell, dann vorsichtig tastend, langsamer. Der ständige Wechsel von Vertrauen und Zweifel, Mut und Vorsicht im Dunkel der Blindheit.

Mit Blindheit bin auch ich durch den hell erleuchteten Vorraum gegangen, blind für die Bedeutungen eines ‚Café Blackout‘ hinter einem schwarzen Vorhang, blind für die Bedeutungen des ‚See you‘ hinter den Worten.

Erst hier, in dieser Dunkelheit, beginnt es mir zu dämmern, und ich bin ganz Ohr und taste mich durch die Laute, die sich im Raum ausbreiten. Erst verwirrt durch ein Murmeln oder Windesrauschen oder Mengengetümmel wird nach und nach klar: das ist das ewige Geräusch unseres Alltags, alles und nichts.

Lautsprecher malen eine Geschichte vor meine Augen, ein Gespräch zwischen zwei Männern in einem Restaurant, eine Fliege auf dem gebirgigen Kartoffelbrei, deren grüner Rücken zum grünen Kleid wird, das ein junges Mädchen trägt, das einer der Männer später auszieht und liebt. Das Insekt wird zum Menschen.

Dann, endlich, Licht. Ein Projektor sendet ein Bild auf zwei unruhige, rosa Schaumgummimatten, darin ein insektuider Mensch, der seine Welt – den Bahnhof, die Straße die Straßenbahn, die Menschen, die Wiese – durch ein Rohr mit Saugnapf erfährt. Nicht das Aussehen zählt, nicht der Geruch, das Tasterlebnis oder der Klang, nur das äußere So-Sein und seine Verwertbarkeit. Der Mensch wird zum Insekt.

Eine der Schaumgummimatten wird zu Flügeln für einen Pyjama-Tragenden, mit denen er den Zuschauerraum durchzieht. Auf der Bühne rollen sich zwei Tänzer stehend übereinander, Annäherung und Entfernung ständig variierend, ohne je die Berührung zu verlieren. Später kommt ein dritter dazu, erst ferngehalten vom weiblichen Ziel seines Berührungswunsches, dann völlig einbezogen in die körperlichen Verschlingungen. Der Körper wird zum Sinn.

Ich fasse langsam die ständig wechselnden Fragmente, deren innerer Zusammenhalt sehr sinnlich, aber auch sehr abstrakt erscheint. Sinnlich in dem Wechsel aus Einbeziehung und Ausgrenzung des Sehens, entweder immer – für die zwei Blinden – oder als Mittel einer andersartigen Annäherung – für die drei Anderen. Abstrakt dagegen ist die Lösung von erwarteter ästhetitisierender Gestaltung auf die reine Frage der Sinnlichkeit.

Doch schnell wird auch diese Abstraktion aufgelöst: in Fragen an das Publikum – wie findet man heraus, ob ein Raum groß genug ist, damit das Nichtgrüßen nicht unhöflich ist? – in Antworten für das Publikum – man sollte das Unerwartete erwarten, um wenigstens gut vorbereitet Unerwartetes zu treffen – in erzählten Erfahrungen von Blinden – als Antworten ohne dazu gehörte Fragen, als durch den Zuschauerraum wandernder Monolog auf Kassette.

Auch das bleibt nicht ohne Gestaltung: Scheinbar unkontrollierte Tanzbewegungen ohne Augen spielen mit Imitation, mit Wechsel von Bewegen und Bewegtwerden. Monologe des blinden Antwortenden werden kontrastiert mit Tipps für die Schönheitspflege. Geräusche werden übertrieben – nicht ohne Ironie – Klischees werden ironisiert – nicht übertrieben – und stiften Sinn – auch der Blinde zählt nicht die Treppen, er spürt, dass sie da sind.

Somit ist Spüren mehr als Wissen, der Umgang mit der Welt wird intuitiver. Räume werden mit den Maßen des Körpers abgegrenzt, andere Menschen stören diese Abgrenzung und verursachen dadurch Berühren und Berührtwerden. Sehen ist nicht nur Bewegung und Wahrnehmung der Augen. Die Nicht-Erfahrung des nicht Wahrgenommenen weicht der Erfahrung des anders Wahrgenommenen.

Am wertvollsten ist somit die Erfahrung, dass ein Blinder nicht nicht sehend, und ein Sehender nicht nicht blind sein muss. In der Blindheit gilt der Körper als Welterfahrung, Nähe und Ferne gibt es nur, wenn man sie spürt. Zu der Blindheit gehört, dass man hört, um gehört zu werden. Das bedeutet immer noch Vertrauen und Zweifel, Mut und Vorsicht, aber das bedeutet ebenso Kommunikation und Spiel.

P.S.: Zu Hause, im Treppenhaus, ist Dunkel. Ich gehe die Treppe hinauf, erst mit sicherem Schritt, dann schnell das Vertrauen verlierend immer langsamer. Ich zähle nicht die Stufen, aber ich spüre, dass sie da sind.

CU.

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