„Moschen”, Premiere (Friederike Haupt)

8. Mai 2003 Lofft

Moschen (Premiere)

Eine Produktion des Poetischen Theaters in Koproduktion mit dem Theater Lofft

Darsteller: Mic ? Michael Veit
Ric ? Thomas Junk
Vic ? Markus Laube
Idee/Realisation/Bühne ? Martin Heering


Drei Takte vom Abgrund entfernt
Smells like Teen Spirit: Moschen, Musik und mehr

Für alle, die nicht wissen, was Moschen ist, folgende Übung: Man lege geeignete Musik auf, verschränke die Arme, beginne mit dem Kopf zu nicken (?wie’s die Metal-Typen tun?) und bewege ihn dann in kreisenden Bewegungen, wobei das ? möglichst lange ? Haar herumzuwirbeln ist. Das ist Moschen. Die geeignete Musik dazu zu finden, sollte spätestens nach dem Besuch einer Moschen-Aufführung im Lofft kein Problem mehr sein.

Dem Zuschauer präsentiert sich eine Clique, bestehend aus drei Jungs mit roten Che-Guevara-Shirts und eigentümlichen Angewohnheiten. Feuert der eine mit einer Pistole auf seinen Freund, um diesem anschließend entsetzt wieder aufzuhelfen, wirft sich der andere in Frauenkleider, ?um die Welt schöner zu machen?, während der dritte im Bunde bekifft vor einem beleuchteten Kurt-Cobain-Porträt sitzt und sich fragt, was die anderen eigentlich wollen.

Überhaupt Kurt Cobain: Er, der legendäre Sänger der Band Nirvana, 1994 unter bis heute nicht ganz geklärten Umständen umgekommen, durchzieht das Theaterstück wie ein roter Faden. Szenen werden durch Nirvana-Hits (?Come as you are?, ?Lithium?, ?Smells like Teen Spirit? und andere) in Boden-Vibrier-Lautstärke voneinander abgegrenzt, vor dem Kurt-Porträt werden ? wie vor einem Altar ? Kerzen aufgestellt, und Moschen geht selbstverständlich am Besten zu den Klängen der Grunge-Erfinder. ?Kurt ist unser Gott?, sagt da einer, und: ?Was für Jesus Ostern ist, ist für Kurt unser Moschen. Er lebt durch uns weiter!? Cobain ist die Marke der No-Logo-Gesellschaft, und um diese Gesellschaft geht es nicht zuletzt in Moschen.

?Wofür würdest du auf die Straße gehen??, das ist die Frage, die die Clique eine ganze Zeitlang beschäftigt. Demonstrieren für den Krieg? Da sind die Meinungen gespalten in der Generation Golfkrieg: Euphorie (?Wenn wir alle unser revolutionäres Über-Ich zur Demo mitbringen, sind wir gleich doppelt so viele!?) und Ablehnung (?Faltenrock ? Dutt ? Kumbaya, das ist nichts für mich.?) treffen aufeinander, und es zeigt sich der Grundkonflikt der drei: Weiterentwicklung steht als Konzept gegen Festhalten an alten Idealen und Idolen. Uschi, ein einst von Mic, Ric und Vic verehrtes Mädchen, wurde prompt aus der Clique ausgeschlossen, als sich herausstellte, dass sie Billy Corgan von den Smashing Pumpkins süßer findet als Kurt Cobain. ?Inakzeptabel? sei so etwas. Die Nirvana-Begeisterung, die anfänglich noch wie die unbedenkliche Faszination einiger Fans für ihre Helden wirkt, stellt sich im Verlauf von Moschen als verzweifeltes Klammern an vergangene, vielleicht bessere Zeiten heraus.

Sehr gelungene visuelle Umsetzung dieses Aspekts: Drei Fernseher sind auf der Bühne positioniert, die Schwarz-Weiß-Bilder zeigen. Erst mit Ton die aktuelle Tagesschau vom 8. Mai, dann während der gesamten Aufführung unzusammenhängende und stumme Szenen aus Nachrichten- und Berichtsendungen. Nur ein Fernseher, der größte, wird nach einiger Zeit umfunktioniert: Man sieht dort, zwar auch ohne Musikuntermalung, aber in Farbe, eine Aufnahme des Nirvana-Konzerts bei MTV Unplugged vom 18. November 1993. Bezeichnend, dass hiermit Nirvana ? und damit die Vergangenheit – bunt, die heutige Realität aber farblos dargestellt wird.

Solche Ideen sind es, die Moschen unbedingt sehenswert machen. Kleinigkeiten, die auf den ersten Blick nebensächlich sind, bei genauerem Hinsehen aber (mindestens) eine äußerst interessante Bedeutung bekommen (schon der Name des Stücks ist gut gewählt; Headbangen hätte nicht die gleiche Wirkung gehabt), Zitate aus gänzlich verschiedenen Bereichen – von den Simpsons bis zu Rudi Dutschke – und immer wieder die energiegeladene Musik lassen keine Langeweile aufkommen.

Oft auch muss man unwillkürlich lachen, zum Beispiel wenn mit ernster Miene erklärt wird, dass der Tod, wenn er einen holen will, solange warten muss, bis derjenige noch ein letztes Mal getanzt und sich dem Moschen hingegeben hat. Doch hinter der Fassade des Humors zeigt sich manchmal ? und dann umso deutlicher – die Orientierungslosigkeit der drei jungen Männer, und manch einer mag sich nach der Aufführung fragen, was dran ist an dem Satz: Komik ist Tragik in Spiegelschrift.

(Friederike Haupt)

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