Buchempfehlung: Tivadar Soros „Maskerade. Memoiren eines Überlebenskünstlers” (Steffen Lehmann)

Tivadar Soros: Maskerade. Memoiren eines Überlebenskünstlers. Herausgegeben von Humphrey Tonkin. Aus dem Englischen von Holger Fliessbach, Deutsche Verlags-Anstalt, München, 2003, geb., 318 Seiten, 24,90 Euro.


Das Glück auf seiner Seite haben

Tivadar Soros, Vater des amerikanischen Unternehmers und Mäzens George Soros, hatte schon vor der deutschen Besatzung das Glück mehrmals auf seiner Seite. Im ersten Weltkrieg geriet er in russische Gefangenschaft und wurde nach Sibirien verschleppt. Von dort gelang ihm die Flucht und er schlug sich auf abenteuerlichen Wegen (irrtümlich trieb er mit einem Floß sogar in Richtung nördliches Polarmeer) bis nach Budapest durch. Seine Erlebnisse auf der Flucht dürften ihm den Blick für die Gefahr geschärft und ihm die nötige Weitsicht verschafft haben. Diese Erlebnisse erschienen zuerst in der Literaturzeitschrift ?Literatura Mondo? unter dem Titel ?Modernaj Robinzonoj?. Soros organisierte gefälschte Ausweise und neue Unterkünfte. Nicht allein für sich und seine Familie, sondern auch für Freunde und Bekannte. Trotz aller Gefahren gab sich Soros der deutschen Besatzung nicht einfach geschlagen und gönnte sich kleine Triumphe in Form von Besuchen in Cafés, Restaurants und Schwimmbädern. Alltäglichkeiten, die der jüdischen Bevölkerung schon längst untersagt waren.

Die Erinnerungen von Tivadar Soros stehen in einer Reihe mit dem jüngsten Buch seines ungarischen Landsmannes György Konrád. Auch bei Soros geht es um das Überleben. Diesmal aus der Sicht eines Erwachsenen, der sich und seine Familie und daneben noch viele Freunde und Bekannte vor der Deportation bewahrte. Mit der Arbeit an ?Maskerade? begann Soros ungefähr 1956, als es ihm und seiner Frau gelang, nach Österreich zu flüchten. Die beiden Söhne hatten schon früher Asyl und der Schweiz beantragt und waren dann weiter in die USA gereist.

?Maskerade? beschreibt einen Zeitraum von nur elf Monaten, der aber ausreichte, um hunderttausende Ungarn in den Tod zu schicken. Schon vorher hatte die jüdische Bevölkerung gelernt, mit den Schikanen zu leben. Für Soros Familie bestand die oberste und einzige Priorität im Überleben. Dabei kamen Soros seine Kontakte als Rechtsanwalt zugute, die er im rechten Moment immer einzusetzen verstand. Bei aller Anteilnahme rücken dabei aber all jene ins Gewissen, die über diese Beziehungen nicht verfügten und fast aussichtslos der Deportation geweiht waren. Soros Erinnerungen sind aus der alltäglichen Beobachtung und Gefahr entstanden, allerdings ohne die literarischen Ambitionen eines Konrád. Das schmälert das Buch keineswegs, ermöglicht es doch einen unverstellten Blick auf die Gefühlslage der Menschen während der Besatzungszeit. ?Maskerade? konzentriert sich ? dankenswerter Weise – allein auf die Handlung und verliert sich nicht in Versuchen, das Geschehene so passend wie möglich zu beschreiben.

Der Krieg war vorbei, die größte Todesgefahr überstanden. Was sich aber als Hoffnung erwies, verkehrte sich bald ins Gegenteil. Die Anwesenheit der russischen Soldaten ließ eine Rückkehr zu Ruhe und Frieden nicht zu. Schikanen und Verschleppungen in Arbeitslager gehörten zur Tagesordnung. Soros schreibt auf der letzten Seite: ?Die russische Besatzung brachte neue bedrohliche Gefahren. Reglementierung und die Ideologie des Klassenkampfes ? sie erforderten eine neue Maskerade, um den Alltag erträglich zu machen.? Wer sich dieser Maskerade verweigerte, der musste Ungarn verlassen.

(Steffen Lehmann)

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