Die Verleihung der ersten Bach-Medaille

Bachfest 2003, Thomanerchor singt beim Eröffnungskonzert Werke von Johann Schelle, Johann Kuhnau und Johann Sebastian Bach

Es ist wieder so weit, aus allen Ecken der Welt strömen die Menschen nach Leipzig, um die Lebens- und Wirkungsstätte des große Johann Sebastian Bach mit seiner Musik erleben zu dürfen. Vor dem Eröffnungskonzert herrscht reges Plätze-Suchen in der Kirche, schicke Anzüge und elegante Kleider schlängeln sich durch die Bänke, es herrscht ein leises, internationales Stimmengewirr, edle Düfte vermischen sich im heiligen Raum, bis endlich Stille einkehrt und die Musik anstimmt.

Die Erwartungen sind groß, die Aufregung der Musizierenden wohl ebenfalls, werden sie doch nicht – wie geplant – vom Thomaskantor Christoph Biller dirigiert, da dieser bedauerlicherweise erkrankt ist, sondern von Gotthold Schwarz. So eröffnen sie denn die Feierlichkeiten mit Bachs Sonata C-Dur für 3 Trompeten, Pauken, 3 Oboen, Taille (hier Oboe), Fagott, Streicher und Basso continuo aus „Der Himmel lacht! Die Erde jubilieret“, BWV 31. Ein passendes, festliches Eröffnungsstück – man merkt aber, daß es sehr schwer sein muß, vor so großem Publikum drei Trompeten beständig in harmonischem Wohlklang zusammenzubekommen; es rutscht schon mal leicht ein Ton fort.

Wolfgang Tiefensee begrüßt die vielen Besucher und macht darauf aufmerksam, daß es exakt 280 Jahre her sei, daß Johann Sebastian Bach nach Leipzig gezogen ist, um Anfang Juni 1723 seinen Dienst als Thomaskantor anzutreten. Ein glücklicher „Zufall“ für Leipzig, „hinter dem Gott lächelte“, so Tiefensee, schließlich sei es eigentlich schon etwas wie ein „beruflicher Abstieg“ gewesen, als Hofcompositeur eine Kantorenstelle zu übernehmen. Und in der Tat verdankt Leipzig eben diesem glücklichen „Zufall“ eine ganze Menge seiner internationalen Popularität, wie man heute wieder am bunten Publikum unschwer erkennen konnte. Einen besonderen Gruß erhält der Nobelpreisträger und DNA-Forscher Professor James D. Watson, der als Bach-Kenner und -Liebhaber extra aus New York angereist ist. Des weiteren weist Tiefensee darauf hin, daß heute zum ersten Mal eine Bach-Medaille der Stadt Leipzig vergeben wird. Der Würdenträger ist der holländische Organist, Cembalist und Dirigent Gustav Leonhardt. Der Musikredakteur der FAZ, Gerhard R. Koch, spricht vor der Übergabe die Laudatio.

In der Laudatio hebt Koch die künstlerische Leistung Leonhardts hervor. Leonhardt habe Pionierarbeit in Puncto Historische Aufführungspraxis geleistet und mit seinen Bach-Interpretationen eine Brücke zwischen Amsterdam und Leipzig geschlagen. Bachs Musik sei gegenüber der von Händel „tiefgründig“, so Koch. Den Stil von Leonhardts Spielweise beschreibt er mehrfach als „asketisch“ und grenzt den Medaillen-Träger so von zahlreichen romantisierenden Bach-Interpreten ab. Dann folgt der feierliche Augenblick: der Direktor der Stiftung Bach-Archiv Leipzig Christoph Wolff übergibt Gustav Leonhardt die erste Bach-Medaille.

Gustav Leonhardt erweist sich als ein äußerst sympathischer Redner. Nach so wunderschönen Lobreden und Rückblicken auf sein Leben, die er nun gehört habe, fühle er sich – so sagt er humorvoll – „als ob ich schon tot wäre“. Die Zuhörer lachen, werden weiter von seinen Äußerungen aufgelockert: Man habe ja keine Wahl gehabt, einen anderen als ihn für die Medaille zu wählen, er sei ja wohl heute abend der „älteste“ hier. Ein weiteres Schmunzeln geht durch die Kirche. In seiner freundlichen Art weist er aber darauf hin, daß der ausübende Musiker eine große Verantwortung über die Musik und daher eine „gefährliche“ Macht innehabe. Man könne beim Hören der Musik „das Innere nur durch das Äußere erkennen“. Mit diesen Worten bedankt er sich und beeilt sich, um pünktlich zu seiner eigenen Probe für das noch anstehende Konzert zu gelangen.

Drei weitere Musikwerke beschließen den Festakt: Johann Schelles „Lobe den Herrn, meine Seele“, Johann Kuhnaus „Wenn ihr fröhlich seid an euren Festen“ und Johann Sebastian Bachs „Ich hatte viel Bekümmernis, BWV 21“. Zu den drei Aufführungen sei gesagt, daß der Bassist Dominik Wörner am ausdruckvollsten und am interessantesten gesungen hat. Seine Partien wirkten gegenüber den übrigen, zwar auch sehr feinfühlig vorgetragenen Gesängen gehaltvoller und die Erzählung spannender wiedergegeben, so daß es am meisten Spaß machte, ihm zuzuhören. Demgegenüber erschienen Altus, Matthias Lucht, und Tenor, Daniel Johannsen, manchmal etwas zurückhaltend. Die Stimmen der Sopranistinnen vermischten sich gleichmäßig und entsprachen einander. Das Orchester hätte hier und da vielleicht ein wenig exakter zusammenspielen können, doch im Gesamteindruck blieb das schöne Gefühl erhalten, mit dem das Bachfest feierlich eröffnet wurde.

Bachfest 2003 – zum Eröffnungskonzert

Bach in Leipzig – zwischen Tradition und Neubeginn

mit Werken der Thomaskantoren
Johann Schelle, Johann Kuhnau und Johann Sebastian Bach

Gesine Adler, Sopran
Barbara Tišler, Sopran
Matthias Lucht, Altus
Daniel Johannsen, Tenor
Dominik Wörner, Bass

Thomanerchor
Akademie für Alte Musik Berlin

Leitung: Gotthold Schwarz

Freitag 23. Mai 2003, Thomaskirche

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