MDR-Kultur-Café: Jens Sparschuh liest aus seinem Buch Eins zu eins (Friederike Haupt)

25. Mai 2003, MDR-Kultur-Cafe in der mb
Jens Sparschuh liest aus seinem Buch Eins zu eins
Musik: Hot Strings, Jazz-Trio aus Weimar


Über die Wende(n)
Jens Sparschuh setzt Maßstäbe und alles auf eine Karte

Einen eigenartigen Wunsch hat Olaf Gruber, der Protagonist in Jens Sparschuhs neuem Buch Eins zu eins: Er will eine Landkarte im Maßstab 1:1 erstellen. Denn, so seine Begründung, jeder kleinere Maßstab würde Details auslassen, auf die er ? da Kleinigkeiten das Leben ausmachen ? nicht verzichten will; was ist schon ein Baum, wenn er ohne Zweige und Blätter oder sogar überhaupt nicht auf einer Karte auftaucht? Eins zu Eins ? der Titel ist Programm.

Jens Sparschuh (Jahrgang 1955) blickt hintergründig lächelnd in sein spärlich erschienenes Publikum und trägt zum Einstieg in die Lesung eins seiner Gedichte vor, das sich hauptsächlich dadurch auszeichnet, dass sämtliche vorkommende Wörter mit dem gleichen Buchstaben, nämlich P, beginnen. Schon hat er die Lacher auf seiner Seite, erst recht, als er hinzufügt, dass sein ebenfalls in der DDR erschienenes Z-Gedicht zensiert wurde: Die Zeile ?Zoll zückt zynisch Zettel? war anscheinend zu systemkritisch, und prompt musste das ?zynisch? gestrichen werden. Und dann merkt der Schriftsteller noch in eigener Sache an: ?An die Verleger, die jetzt zuhören: Wer sich als erster meldet, darf diese Gedichte neu auflegen. Ein Gewinnspiel!? Allgemeines Schmunzeln.

Sparschuh erzählt ein wenig von sich: Über den Hörspielpreis der Kriegsblinden (?Hörspiel-Oscar?), seine Wanderungen mit Stan Nadolny und die beiden gemeinsame Langsamkeit, über sein Logikstudium in St. Petersburg und das Nach-Hause-kommen-Gefühl beim Lesen von Karl May (der Stern beschrieb Jens Sparschuh als eine ?Mischung aus Karl May und Kafka?). Dann geht es ans Lesen aus Eins zu eins:

Es beschäftigt sich mit der 1989/90er-Wende und mit den Wenden und ist doch weit mehr als ein simples Wortspiel. Sparschuh dazu: ?Das wäre ja ein auf 460 Seiten ausgewalzter Kalauer!? Olaf Gruber, Mitarbeiter eines innovativen Reiseunternehmens namens ?Anders reisen? (Konkurrent ist ?Ikarus-Flüge?, dessen Kundenstamm laut Gruber sein Dasein unter der geistigen Armutsgrenze fristet), macht sich auf die Suche nach einem vermissten Mitarbeiter und entdeckt auf seinem Weg durch Ostdeutschland nicht nur allerlei ?zonenspezifische? Phänomene, sondern auch Spuren der Wenden, eines slawischen Volkes, das in grauer Vorzeit einwanderte und zum Beispiel die wendischen Runddörfer hinterließ. Eins zu eins ist ein Abenteuer- und Abenteurerbuch, geprägt von Melancholie, Erinnerung und ? wie der MDR-Moderator nicht müde wird zu betonen ? Ironie. Passagen wie die, in der Gruber zu DDR-Zeiten mittels einer Annonce blaue Fliesen für sein neues Bad finden will, von der Zeitung dann aber illegaler Geldgeschäfte bezichtigt wird (?blaue Fliesen? war ein Synonym für westdeutsche Hunderter-Scheine) oder Schilderungen dahinschlurfender Jogging- und Schlafanzughosen-Träger sind tatsächlich mit einer gehörigen Portion Humor geschrieben und auch vorgetragen, und Kapitelüberschriften wie ?Selbsterfahrung im Doppelstockbett? sprechen wohl für sich.

Die Stücke des Weimarer Trios Hot Strings (Geige, Gitarre, Bass) tun das ihrige dazu, die Lesung zu einer gelungenen Veranstaltung zu machen. Mit ihrem Programm ?Mr. Swing meets Senor Latino?, das dem Namen entsprechend beschwingt aufspielt und zuweilen sogar Anklänge an Rock’n’Roll-Rhythmen wie die der White Stripes erkennen lässt, vermischen die Musiker augenzwinkernd verschiedene Stile und sind darin Sparschuhs Buch gar nicht unähnlich.

Mit Hilfe der Ironie als Erkenntnisform die ewige Ost-West-Trennung unter einem anderen Aspekt sehen, Vergangenheit und Zukunft verbinden und gleichzeitig das Gewesene gewesen sein lassen, den Leser unterhalten und dabei doch nachdenklich stimmen ? dass er all das kann, lässt Jens Sparschuh in seiner Lesung durchblicken, und als er sich, kaum dass die Sendezeit vorbei ist, seine Pfeife ansteckt und gemütlich vor sich hin pafft, kann man dem May/Kafka-Vergleich durchaus etwas abgewinnen.

(Friederike Haupt)

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