Hochschule für Musik und Theater, Großer Saal, Montag 26.5.2003
Barockoper konzertant
Georg Philipp Telemann ?Der neumodische Liebhaber Damon? oder ?Satyrn in Arcadien? (Heitere Oper in 3 Akten)
Lebendiges in Sachen ?Alte Musik?
Am Montag Abend erwies sich die Leipziger Musikhochschule wieder einmal als äußerst wertvoller Fleck auf Leipzigs musikalischer Landkarte. Als Ort an dem immer wieder Musik auf hohem Niveau erklingt und Wagnisse eingegangen werden, die von unseren öffentlichen (und von finanziellem Erfolg abhängigen) Institutionen gern gemieden werden.
Nachdem im letzten Monat erfolgreich das mehrtägige ?Fest Alter Musik? von der gleichnamigen Fachrichtung der Hochschule veranstaltet worden war, zeigte diese nun Bemerkenswertes im Bereich Barockoper und widmete sich damit der Pflege einer Musik, die in Leipzig leider stark unterbelichtet ist. Sicher, es gibt ja Halle und Magdeburg, aber trotzdem: fehlender Bedarf kann nicht das Argument für die Vernachlässigung des großen Musikkomplexes ?vor Bach? sein. Denn die im Rahmen des Bachfestes veranstaltete konzertante Opernaufführung fand ein aufgeschlossenes und begeistertes Publikum im sehr gut besuchten großen Saal der Hochschule.
?Der neumodische Liebhaber Damon? ist die einzige vollständig überlieferte Oper Georg Philipp Telemanns, die noch für Leipzig konzipiert, dann allerdings für Hamburg bearbeitet und dort 1724 aufgeführt wurde. Dieses selten gespielte Stück bietet dem Freund barocker Opern das gesamte Spektrum der Gattung und lässt keine der im frühen 18. Jahrhundert beliebten und standardisierten Opernkonventionen vermissen: eine turbulente Handlung (die beim besten Willen nicht logisch nachvollziehbar ist), alle Variationen der Verwechslung, Verkleidung, Verstellung, das Spiel der unerwiderten oder verhinderten Liebe.
Und auch musikalisch ist die frühe Oper Telemanns opulent: lebendig und spritzig, mit musikalisch-dramatischen Höhepunkten und großen Affekten, wirkungsvollen Rachearien, die mit geballter Wucht ins Publikum dringen und daneben die immer wieder intelligenten musikalischen Umsetzungen des bildhaften Textes. Da wird die Nachtigall besungen, die ?die eingepresste Luft in der gezwängten Kehle so künstlich auf und ab rollt?, da treten Sänger (der wunderschön baritonale Bass von Kai Florian Bischoff) und Oboe und ins fragende Zwiegespräch.
Bemerkenswert ist vieles mehr, zum Beispiel das Solistenensemble, das sich aus Studierenden und Lehrenden zusammensetzt – eine schöne Verbindung, die ihre Logik aber auch schnell im Verlauf des ersten Aktes offenbart: die beiden höllisch schweren Partien der Hauptfiguren Mirtilla (Gundula Anders) und Damon (Marek Rzepka) wären möglicherweise für Studenten eine zu große Herausforderung gewesen und es ehrt die Dozenten, dieses Risiko auf sich selbst genommen zu haben.
Beide liefern sich ein musikalisches Duell auf höchstem Niveau und Rzepka (Bassbariton) überzeugt vom ersten Ton an mit wunderschöner natürlicher Stimme, die jede der Koloraturen und Tonwiederholungen im halsbrecherischen Tempo geschmeidig wiedergibt und dabei noch von umwerfendem Volumen ist. Gundula Anders‘ Sopran steht dem in nichts nach und auch wenn sie in ihrer mit Soloeinsatz beginnenden Arie ?Du frecher Verräter? an stimmliche Grenzen geht, wird dadurch das hohe Niveau und das Artifizielle dieser Oper noch deutlicher. Und umso bewundernswerter erscheinen auch die übrigen durchweg klar gesungenen Dacapo-Arien und Ensembles.
Gleiches gilt für die auf die Studierenden verteilten ?Nebenrollen?. Wie der schon erwähnte Laurindo Kai Florian Bischoff beeindruckt besonders Elke Voigt, deren Sopran geradezu für barocken Operngesang geschaffen zu sein scheint. Vor allem für eine solche auch bei Händel immer wieder vorkommende Rolle einer eher lyrischen ?zweiten? Primadonna. Miho Kim, in ihrer Doppelrolle als Tyrsis/Calliste, findet mit ihrer koketten Arie ?Liebe mich, doch nur zum Scherze?, in der sie als Frau einen Mann spielt, der sich in eine Frau verkleidet und den Lüstling Damon beflirtet, großen Anklang beim Publikum.
Das alles hat Charme. Konzertant heißt hier nicht versteckte Langeweile durch bloßes Absingen von Nummern. Weil die Beteiligten in Mimik und Gestik aufeinander reagieren, wird immer wieder auch das Publikum mit Heiterkeit angesteckt. Zusätzliche Optik gab es von Jutta Voß und Martin Prescha, die in den Instrumentalsätzen Choreographien höfischen Tanzes in wechselnden Kostümen und kleine, zum Handlungsverlauf passenden Pantomimen zeigten, wobei die schauspielerischen Einlagen doch etwas dezenter hätten ausfallen können.
Sensationell auch das Orchester, dass die Lebendigkeit der Musik professionell und bis ins kleinste Detail gestaltet. Besonders beeindruckend ist die Leitung von Susanne Scholz, die, als erste Violine den Dirigenten ersetzend, gleich zu Beginn solistisch hervortritt. Denn am Anfang der Oper steht tatsächlich ein mit vivaldischen Anklängen komponiertes Violinkonzert. Stehend führt sie Orchester und Solisten sicher durch Arien und Ensembles, nur durch Atem und Bewegung. Dies ist spektakulär und wird mit großem Respekt für die hochschwangere Dirigentin gewürdigt. Durch ständigen Blickkontakt stimmen alle Einsätze, es entsteht ein homogener Orchesterklang auf historischen Instrumenten, die Continuogruppe wächst stellenweise über ihren Begleitpart als Bassfundament hinaus zu einem ebenbürtigen musikalischen Partner. Das Publikum dankt mit Begeisterung, es gibt feierliche Bravi und Ovationen für alle Mitwirkenden und ? nicht zu vergessen ? für die Musik.
Die Welt der barocken Oper ist weit von unserer Gegenwart entfernt, viel weiter als die barocke Instrumentalmusik und es bliebe zu wünschen, dass es auch in Leipzig öfter die Möglichkeit zu einer Begegnung gäbe. Die Hochschule leistete heute einen unschätzbaren Beitrag dazu.
(Katharina Lenke)
Kommentar hinterlassen