Barockoper beim Bachfest: Alessandro Melanis „L\’empio punito” – Der bestrafte Gottlose (Johannes Wilde)

Oper Leipzig – Eine Koproduktion mit dem Bachfest Leipzig
Premiere am 30. Mai 2003 im Schauspielhaus Leipzig

Alessandro Melani:

L’empio punito – Der bestrafte Gottlose
Dramma per musica in drei Akten
Libretto von Filippo Accaiuoli

Les Talens Lyrique
Christophe Rousset, Musikalische Leitung

Eric Vignier, Regie und Bühnenbild

Marguerite Krull, Marika Schönberg, Kristina Hansson, Kathrin Göring, Paul Kong,
Rickard Söderberg, Tuomas Pursio, Martin Petzold


Barocke Sinnlichkeit im (goldenen) Käfig des Tiefsinns

„Zwischen Tradition und Neuanfang“ hieß das Motto des diesjährigen Bachfestes. Hierzu bescherte dem Festival eine Koproduktion mit dem Leipziger Opernhaus abseits vom großen Thomaskantor einen höchst reizvollen Rückgriff auf die Pionierzeit der europäischen Oper. Alessandro Melanis „L’empio punito“ stellt nicht nur die erste Vertonung des vielfach bearbeiteten Don-Juan-Stoffes in der langen Musikgeschichte überhaupt dar, sondern bietet dazu auch sehr schöne und ausdrucksvolle italienische Barockmusik des ausgehenden 17. Jahrhunderts.

Nach der Wiederentdeckung 1986 und einer kurzzeitigen Inszenierung in Stockholm feierte das Werk in Leipzig nun seine deutsche Erstaufführung. Regie führt der renommierte französische Theaterregisseur Eric Vignier, sichtlich bemüht, den hinlänglich bekannten Ränke- und Verwechslungsspielchen des mageren Sujets Subtiles und Symbolisches zu entlocken. Er setzt seine Figuren zunächst im Halbschatten auf eine Bühne, die den Hof des Königs Atrace als goldenes Labyrinth und Käfig zugleich erscheinen lässt. Auf verschiedenen Ebenen entsteht eine simple Handlung um Liebe, Treue, Sehnsucht und Verführung, die mit dem Einzug der Titelfigur Acrimante bei Hofe Brisanz und Vertiefung erfährt. Plötzlich ist nichts mehr, wie es zuvor gewesen war. Die handelnden Personen erscheinen nun in neuem Licht, entdecken an sich zuvor unbekannte Facetten ihrer Persönlichkeit. Mehr und mehr ziehen Verunsicherung, Misstrauen und nie gekannte Gefühlsregungen ein.

Soweit kann man Herrn Vignier noch folgen. Doch ein bisschen mehr barocke Pracht und Ästhetik hätte es ruhig sein dürfen. Vignier bietet dem Zuschauer angesichts eines flachen Dramas enttäuschend wenig Visuelles an, zumal auch seine Darsteller, obwohl stimmlich weitgehend überzeugend, kein besonderes Interesse daran zu haben scheinen, emotionale Wandlungen oder wenigstens die wunderbaren, lyrisch-metaphorischen Texte irgendwie glaubhaft in den Zuschauerraum zu transportieren. So entgeht einem auch nichts, wenn man sich eben diesen Texten im Übertitel widmet – auf der Bühne geschieht ja doch nichts.

Die Vorstellung gleicht über weite Strecken statischem Rampentheater, das bald gähnende Langeweile verbreitet, wäre da nicht die herrliche Musik, die in keinen besseren Händen liegen könnte als in denen von Christophe Rousset und seinen fabelhaften „Les Talens Lyrique“. Dieses traumhafte Ensemble musiziert mit einer Sinnlichkeit und einer ungeheuren Ausdruckspalette, dass es eine Wonne ist! Die klanglich ständig wechselnde Continuogruppe (ausgezeichnetes Violoncello, mal mit Barockgitarren, dann wieder Lauten und Lirone, dazu die Harfe sowie das fantastische Cembalospiel von Christophe Rousset) begeistert ebenso wie die Violinen und Flöten mit ihrer Spielfreude in den Arien. Dabei wird alles so wunderbar natürlich und selbstverständlich zu Klang, dass es in krassen Gegensatz zum statischen Geschehen auf der Bühne gerät.

Doch natürlich gibt es auch von dort Positives zu berichten. Marika Schönberg als Atamira beispielsweise wartet zwar mit etwas weniger stimmlichem Glanz und intonatorischer Klarheit auf als die anderen Kollegen, doch kann sie am durchgehendsten Wärme und Glaubwürdigkeit des Ausdrucks vermitteln. Unübertroffen jedoch im komödiantischen Einsatz (nicht nur wegen eines von der obersten Ebene herabgepfiffenen B-A-C-H): Martin Petzold in der Buffo-Rolle der Amme Delfa. Er erinnert gemeinsam mit dem stimmlich überragenden Tuomas Pursio die spielerische Komponente des Stücks und sorgt immer wieder für lebhaftere Momente. Weiterhin beeindrucken Kristina Hansson als Cloridoro und die hervorragende Marguerite Krull in der Titelrolle des Acrimante (beides ursprünglich Kastraten-Rollen) mit bemerkenswerter stimmlicher Brillanz, finden Hansson und Kathrin Göring als Cloridoro-Geliebte Ipomene zu innigen und überaus homogen gesungenen Duetten, die zu den schönsten Momenten der Oper gehören. Einzig Paul Kong als König Atrace bleibt trotz seiner warmen, würdevollen Bass-Stimme etwas blass.

Insgesamt stellt die Leipziger Aufführung von „L’empio punito“ ganz sicher eine lohnende Wiederentdeckung dar. Eine durchaus sehenswerte und gefällige Barockoper, von erstklassiger Musik getragen, der eine lebendigere, weniger auf nicht vorhandenen Tiefsinn schielende Inszenierung zu einem Fest barocker Sinnlichkeit verhelfen könnte, sollte nicht wieder 15 Jahre in den Archiven verschwinden!

(Johannes Wilde)

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