Händel-Festspiele
Samstag, 14. Juni 2003
Georg Friedrich-Händel-Halle, Halle (Saale)
Marc Minkowski dirigiert Les Musiciens du Louvre zu
Musique Françoise
Musique françoise ? Liebe, Anmut und französischer Charme
Dies ist ein Konzert der besonderen Art. Ein musikalischer Glanzpunkt folgt dem anderen, und als das Konzertprogramm vorbei ist, sind die Zuhörer so begeistert, daß nach dem vielen Klatschen zwei Zugaben gespielt werden. Man möchte diese Momente des Erlebens von schöner Musik nur ungern loslassen, der sympathische Dirigent und sein brillantes Orchester lassen jeden Augenblick des Abends zum Hochgenuß werden.
Zuerst schreitet aber eine Dame an das neben das Orchester aufgestellte Rednerpult. Sie begrüßt zunächst die Händel-Festspielbesucher, dann die Orchestermusiker und schließlich besonders herzlich ihren Dirigenten. Denn Minkowski erhält an dieser Stelle den Händel-Preis der Stadt Halle. Mit der Urkunde und Ehrennadel wird die Tätigkeit seiner letzten Jahre, insbesondere seine Händel-Pflege gewürdigt. Besonders die lebendige und mitreißende Art, Händel zu interpretieren und spielen zu lassen, hat die Stadt Halle dazu bewegt, Minkowski als Preisträger auszuwählen. Sobald die Neuigkeit gesagt ist, drängeln sich Kameraleute und Fotografen um den Geehrten, blitzen ihm schamlos ins Gesicht, als dieser sich auf Deutsch und Englisch bemüht, seine Dankesworte an das Publikum zu richten. Auch eine kleine Programmänderung kündigt Minkowski an. Ursprünglich hatte Händel ja keinen Platz in einem Konzert, das ausschließlich der französischen Musik gewidmet ist. Doch anläßlich der Ehrung mußte nun ein Händel-Werk her. Anstelle von Franz Joseph Haydns Sinfonia aus der Oper ?L’isola disabitata? Hob. XXVII:9 erklingt also die von Händel komponierte Ouvertüre zu ?Rodrigo?. Und damit beginnt das Konzert.
Tänzerisch leicht, froh und glänzend spielt das Orchester diese Händel-Ouvertüre. Es macht Freude zu sehen, wie anmutig die Cellistinnen ihr Instrument streichen. Nichts ist überschüssig, Taktschwerpunkte werden dynamisch feinfühlig betont, die Quartett-Einlagen sind singend, die Bläser geben in perfekter Harmonie dem Geschehen das gewisse Etwas, und auch das lächelnde Augenzwinkern der Geigerin in der ersten Violine zu ihrem Pultnachbarn fügt sich ganz natürlich in diese freundlich-warme Musik.
Mit Haydns Symphonie g-Moll Hob. 1:83, genannt ?La Poule? (?Die Henne?), kommt sinfonisches Ambiente in den Saal. Laute und stark abgesetzte Punktierungen im forte wecken sofort die Neugier der Zuhörer. Vielleicht wird der eine oder andere hier ? an die Überschrift des Werks denkend ? an die ruckartigen Bewegungen von Hühnern erinnert. Das dazu kontrastierende Thema bringt Minkowski leise und gleichzeitig spritzig hervor. So mag man bei der ? mit ?knackigen‘ Albertibässen begleiteten ? verspielten und liedhaften Melodie an ein hüpfendes kleines Mädchen denken. Dann folgen schön dicht und intensiv gespielte Momente. Bald schon horcht man dem hervorragenden pianissimo. Alles ist spannend und liebevoll musiziert. Die Schönheit des Klangs spiegelt sich in den Bewegungen und Gesichtern der Musiker wider. Minkowski interpretiert die Sinfonie mit einem so großen Facettenreichtum und so die Details liebend, daß das Zuhören und -sehen ein reiner Genuß ist.
Nach der Pause erklingt übrigens noch einmal ?die Henne?, diesmal aber in einer Bearbeitung von Jean-Philippe Rameau. Vielleicht wirkt die Musik im zweiten Teil noch plastischer, weil man das Stück schon einmal gehört hat. Oder weil es nun ein Franzose ist, der es ?komponierte‘. Jedenfalls meinte man nun wirklich eine französische ?poule? gackern zu hören ? denn ein französisches Huhn macht ?cococo…?, und diese harten ?k?-Laute kamen so lebendig aus den Instrumenten heraus, daß man schmunzeln mochte über soviel Tonmalerei.
Auch Jean-Philippe Rameaus Apotheose des Tanzes aus der Pastorale héro?que ?Za?s? (1748) ist, wenn sie von den Musiciens du Louvre unter Marc Minkowski gespielt wird, eine sehr plastische Musik. Es ist eine Ouvertüre, die ?das Entwirren des Chaos und den Zusammenstoß der abgesonderten Elemente? beschreibt. Die Bässe klopfen zuerst mit ihren Bögen über die Saiten, merkwürdige Rhythmen lassen sich kaum fassen, die Violinen steigen in einer fremden Harmonie ein, verminderte Akkorde suchen den Weg nach oben, Skalen lassen sie in die Tiefe fallen ? Rameaus musikalisches Bild des Chaos, Minkowskis Belebung dieses Bildes. Das Rumoren in den Bässen läßt an bewegte Steine, an Geröll denken. Wo mag das hingehen, fragt man sich. Doch dann kommt die Musik ins Laufen. Endlich strahlen Harmonien in allen Stimmen, brillante Violinen und helle Holzbläserklänge bringen Licht ins Geschehen. Das Chaos ist entwirrt.
Mögen einige vorgetragenen Stücke am heutigen Abend auch kurz erscheinen, sie sind immer mit soviel Aspekten von höchster Perfektion und Anmut dargeboten, daß man ständig neue Ideen beim Zuhören verspürt. So ist es auch in den folgenden Stücken von Rameau. Etwa in der ?Sc?ne fun?bre? aus ?Castor et Pollux?. Wenn sich dort die langen Vorhalte in absteigenden Moll-Harmonien abwechseln und das Fagott eine schöne Melodie spielt, taucht man gleich in diese Stimmung ein und betet insgeheim für die verstorbene Geliebte, daß sie sanft in ewigem Frieden ruhen möge.
Oder wenn aus ?Platée? die Gewitterszene, ?Orage?, erklingt, so sind es Tropfen, die zunächst aus kurzen Cembalo-Klängen und Baß-Pizzicati herauskommen, die dann lauter und dichter werdend, in einem wahren Regenguß münden, in dem alle Streicher und Bläser mit rasender Schnelligkeit einbezogen sind. Hier reagiert das Publikum sofort mit unverzüglichem Beifall.
Dann gibt es auch die ?Air tr?s vif? aus ?Les Paladins?, in dem der zügige 6/8-Takt nicht nur das Orchester, sondern auch besonders Minkowski zum tänzerisch-bewegten Dirigieren animiert, daß der eben noch festgehaltene Taktstock quer über die Bratschen und an den Kontrabässen vorbeifliegt. Selbst das Lächeln in Orchester und Publikum bereitet bei diesem ? ebenfalls glanzvoll interpretierten ? Tanz großes Vergnügen.
Im Ritournelle aus ?Hippolyte et Aricie? wird ein sangliches Thema fugenartig verarbeitet, erst spielen es Cello und Fagott, dann geht es weiter durch die Orchesterstimmen. Auch hier ist gleich der Geist der Musik erfaßt. Das schöne daran ist, daß sich dies in den Zuhörern widerspiegelt: hier sind diese so vertieft in die Musik, daß sie ? man kann es förmlich sehen ? mit jeder auch noch so leichten Betonung mitschwingen und jede Nuance bewußt miterleben. So etwas hat man selten.
Humorvoll wird es dann, wenn Minkowski in der ?Air des sauvages? (Die Wilden) aus ?Les Indes Galantes? im schnellen 4/4-Takt plötzlich aus seinem präzisen Dirigat in die Bewegung eines Geigers gerät und so imitiert, als habe er selber das schöne Instrument unter seinem Kinn, und einen Bogen in der rechten Hand. Und das Orchester spielt so, als sei es die Verlängerung von Minkowskis Körper.
Und so geht es in jedem Stück. Die Musik erklingt nicht nur in herrlicher Perfektion, sondern bringt den Geist dieser Kunst zum Leben. Dem Riesenapplaus und den teils stehenden Ovationen konnte man sich nur anschließen, nach diesem wahren Hochgenuß. Und sogar beim Applaus zeigt sich die Einheit des Ensembles wieder, als Minkowski eine kleine Geste der Verbeugung ?dirigiert‘ und alle Musiker exakt, wie ein Corps de Ballet, sich dazu verneigen. Die Musiciens du Louvre haben etwas Unbeschreibliches an sich, so etwas wie einen eigenen Geist, der sie in Freundschaft und harter Arbeit zusammenhält, jedenfalls ist jeder auf jeden eingestimmt, sie spielen immer perfekt zusammen, harmonieren, sind sich dynamisch und agogisch immer einig und geben fortwährend eindeutige Stimmungen wieder ? immer der Musik entsprechend. Das macht sie so besonders, das zeichnet Marc Minkowski aus, und deswegen freut man sich um so mehr darüber, daß er den Händel-Preis erhalten hat.
(Juliette Appold)
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