Klangrausch die zweite

Werke von Schönberg, Rühm, Barlow und Zender im MDR-Studio mit Schleiermacher am Klavier

Sanglos ist nicht klanglos – auch im zweiten Konzert der „Klangrausch“-Reihe durchsucht Steffen Schleiermacher die neuere Musikgeschichte nach Alternativen zum Gesang. Klug konzipiert und glänzend ausgeführt war nach dem großartigen Auftakt mit Schleiermachers Heiner-Müller-Vertonung auch der zweite Abend mit Werken von Schönberg, Rühm, Barlow und Zender.

Arnold Schönbergs monumentale „Ode an Napoleon“ (1942) für Streichquintett, Klavier und Sprecher ist der älteste Beitrag der gewichtigen Zusammenstellung. Ein massives Opus, das Hohn und Gift über Napoleon vergießt, und auch Schönbergs Musik klingt ein wenig so, als hätte sie Schaum vor dem Mund. Schönberg walzt mit nahezu gewalttätiger Musik den Vokalpart an manchen Stellen geradewegs zu. Ob Absicht oder nicht – nach zehn Minuten ist nur noch Wüten und Bellen zu vernehmen. Wieder einmal wird deutlich: Obwohl er vermutlich anders dachte, war Schönberg kein Meister der Ironie, man denke nur an die unsäglichen „Drei Satiren“. Wo andere den Feind mit federleichtem Florett effektiv vernichten oder wenigstens Spottgelächter hervorbringen können, fährt Schönberg, möchte er komisch sein, mit Zornesfalten eine Armee grobschlächtiger Landser auf und schlägt sein Opfer zu Brei. Und so kann man den Text auch einfach ausklammern und einem bemerkenswerten Klavierquintett lauschen. Der an manchen Stellen durchaus unfreiwilligen Komik geht Schleiermacher in seinem Kommentar weiter auf den Grund.

„Übersetzungen“ und „Textmusiken“ ohne Gesang, von Gerhard Rühm und Klarenz Barlow: Geistesverwandte und doch ganz anders. Rühms

„Gedichte für Klavier“ (1978) basieren auf dem Verfahren, der Tonleiter-Reihe nach jedem Buchstaben eines Gedichtes seinen eigenen Ton zuzuweisen, zum Beispiel
ü=c
b=d

e=e

r=f

a=g

l=a

l=a

e=e

n=h

…und so weiter, bis „Wanderers Nachtlied“ in die C-Dur-Tonleiter übersetzt ist. Rühm wählt mit Wiener Humor gleich vier poetische Schwergewichte und unterzieht sie einem, wie er schreibt, „lapidarem“ Verfahren: Martin Opitz, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Nietzsche und August Stramm, alles in einem „Zyklus“ und alle nicht mit ihren geringsten Dichtungen. Er spielt mit Zeitbezug und Tonleiter – „Von der Welt Eytelkeiten“ schwebt im Äolischen, „Wanderers Nachtlied“ erklingt, wie erwähnt, in C-Dur, Zarathustras „Trunkenes Lied“ ist ein Spiel auf der Ganztonleiter und Stramms „Urtod“ poltert auf allen Tasten des Klaviers daher. So trivial die „Kompositionsanleitung“ auch ist – das Ergebnis ist verblüffend: Eine statische Musik, nicht tonal, nicht atonal, die wie nichts anderes klingt. Ausgerechnet Stramms expressionistische Wortraketen (Raum/ Zeit/ Raum/ Wegen/ Regen/ Richten/ Raum/ Zeit/ Raum/ Dehnen/ Einen/ Mehren/ …) resultieren mit ihrem immer wiederkehrenden Refrain und den meistenteils gereimten Strophen (die tatsächlich hörbar werden) in einem geradezu klassischen „Mikro-Rondo“.

Ähnlich und im Ergebnis völlig anders ist Klarenz Barlows „Textmusik“ (1974). Barlow gibt keinen Text vor, nur eine Anleitung, die aber deutlich komplexer ausfällt. Wie bei Rühm wird, ausgehend von“ einem Ton „etwa in der Mitte der Tastatur“ jedem Buchstaben des Textes ein neuer Ton zugeordnet, erst auf den weißen, dann den schwarzen Tasten. Wörter können als Akkorde zusammengespielt werden, der Akkord soll jedoch pro Silbe einmal gespielt werden. Dazu muss die Geschwindigkeit in jedem Wort anders sein. Viel Platz also für den Interpreten und Komponisten. Schleiermacher exerziert das Verfahren an neun Sätzen aus Hölderlins „Patmos-Hymne“ – mit beeindruckendem Ergebnis: dem etwa zwölfminütigen Werk hört man die Herkunft aus einem „Schema“ nicht im geringsten an, mit einem klingenden Ergebnis liegt irgendwo zwischen Debussy und Feldman. Die einstimmige Linie beherrscht die ersten Minuten, und dann schließlich, wenn es bei Hölderlin heißt „Im goldenen Rauche blühte schnell aufgewachsen mit Schritten der Sonne, mit tausend Gipfeln duftend, mir Asia auf“, fasst Schleiermacher erstmals die Wörter zu Akkorden von sehnsüchtiger Schönheit zusammen und man wünschte sich, er könnte uns die Bibel vorspielen…

Nach der Pause schließlich Hans Zenders „Hölderlin lesen III“ (1991), einer Art Spätausläufer der etwa seit den Siebzigern bestehenden Hölderlin-Welle in der Neuen Musik. Nun war der Text, den Schleiermacher für seine Barlow-Realisierung heranzog, noch einmal ganz anders zu hören – für Sprecher und Streichquartett. Wer dem Text lauscht, der kann noch einmal dessen große Schönheit genießen, Christopher Jung glänzt als erstklassiger Hölderlin-Leser. Zenders Anmerkungen zur Komposition sind hingegen einigermaßen absurd („…das Problem der „Verzeitlichung“ der Hölderlinschen Texte“, „…da die Musik das eigentliche Element der zeitlichen Darstellung ist…“); betrachtet man des Komponisten Kommentar mit seinen Formeln und Floskeln („Konfrontation“, „Chaosprinzip““, Problematik“), so sieht man buchstäblich die leichte Staubschicht, die über all dem liegt. Der Streichquartett-Part ist von exorbitanter Schwierigkeit, doch ist er, neben einigen atemberaubenden Passagen, geprägt von jenem kompositorischen Vokabular der Neuzeit, das gefährlich in Manierismus-Nähe kommt. Tremoli (vorzugsweise am Steg), Hauen auf die Geige, Glissandi, von höchster in die tiefste Lage und umgekehrt: zirp, quietsch, knall – alles schon mehrfach dagewesen und zum Klischee erstarrt. Die „Verzeitlichung der Hölderlinschen Texte“ ist für Zender hörbar wirklich ein Problem.(S

Klangrausch die zweite: Schönberg, Rühm, Barlow, Zender

Leipziger Streichquartett

Christopher Jung, Stimme
Josef Christoph + Steffen Schleiermacher, Klavier

Arnold Schönberg: Ode an Napoleon op. 41a
Gerhard Rühm: Übersetzungen aus dem Deutschen
Klarenz Barlow: Textmusik für Klavier
Hans Zender: „denn wieder kommen“- Hölderlin Lesen III

04.07.2003, MDR-Studio am Augustusplatz

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.