Henryk Bereska: „Burgschreiber zu Beeskow – Märkische Streifbilder”. Gedichte und Texte (Wolfgang Städter)

Henryk Bereska: ?Burgschreiber zu Beeskow – Märkische Streifbilder?. Gedichte und Texte.
Aphaia Verlag, Berlin 2003

Vorworte von Tilman Schladebach und Wolfgang de Bruyn.
Grafik, Malerei von Kedron Barrett, Peter Fritz, Dieter Goltzsche, Sarah Haffner, Sylvia Hagen, Christine Jackob-Marks, Beate M. Kicherer, Roger Loewig, Harald Metzkes, Arno Mohr, Alfred Traugott Möhrstedt, Karl-Hermann Roehricht, Klaus Roenspiess, Hans Scheib, Alexander Sementsov, Roger David Servais, Werner Stötzer, Hannelore Teutsch, Alfred Weniger, Xago.


?Ich bin nicht jung und dynamisch, ich bin alt und habe Dynamit.?

Der obige Satz ist dem Vorwort ?Zehn Jahre Burgschreiberei in Beeskow? von Wolfgang de Bruyn entnommen und stammt aus der Feder von Manfred Wolter, welcher sich, wie ebenfalls im Vorwort zu lesen ist, mit 60 Jahren erfolgreich als Direktor des Gerhart-Hauptmann-Museums in Erkner beworben hatte. Nun sind erfolgreiche Bewerbungen und die Auswahlverfahren für Literaturstipendien oder Burgschreiberstellen sicher eine Sache für sich, doch gibt es wohl kaum einen Dichter, der besser in das märkische Beeskow paßte denn Henryk Bereska.

Bekannt durch Übersetzungen und Herausgaben polnischer Literatur machte sich der 1926 in Katowice-Szopienice geborene Autor vor allem auch einen Namen durch seine Gedichte, die nicht selten von Landschaften und Orten inspiriert sind. Orte, die Bereska kennt oder kennenlernt, Heimaten auch: Ostberlin (?Berliner Spätlese. Gedichte?, Corvinus Presse, Berlin, 1991) und die Mark Brandenburg (?Auf einem Berg aus Sand. Märkische Gedichte?, Corvinus Presse, Berlin, 1996).

Liest man Bereskas Texte, so meint man, er beantworte sich die Frage: Von wo aus schreibe ich? täglich neu: Von hier aus, von der Gegenwart aus, von dem Ort aus, an dem ich gerade bin, an dem es mich sein läßt. Und das, was mich umgibt, fließt ein in das, was aus mir heraus drängt.

Im Sommer und Herbst 2002 umgab ihn die märkische Landschaft bei Beeskow. Eine vertraute Landschaft von karger Weite und rauhem Reiz, intensive Landwirtschaft, Krähen, Rehe, Jagdgebiete. Was entstanden ist, sind Gedichte von karger Weite und rauhem Reiz. ?Bedauern?: ?Die vielen Sommer / wo du nur Stoppelfelder sahst / und all die stillen Nischen / im hohen Roggenfeld / ausgelassen hast.? oder ?Hochstand?: ?Auf einem Hochstand hockte ich – / Ausschau haltend nach Gedankenhochwild / Stunde um Stunde. / …? Und ein paar Miniaturen, mit Anekdoten gewürzt: ?Seltsame Häuser gibt es in abgelegenen märkischen Gegenden: Verwildert, von der Landschaft beinahe verschlungen. … Hier wohnte ein Greis, der barocke Möbel und kostbare Teppiche besitzen soll. Einmal ließ er verbreiten, er verreise, in Wahrheit versteckte er sich in seinem Turm und beobachtete Tag und Nacht, ob jemand einbricht. Es brach aber niemand ein.?

Bemerkenswert ist, daß beinahe jedem Text mit wachem Auge eine Graphik oder ein Gemälde beigesellt ist. Allein zwanzig bildende Künstler vereint der Band. Dabei schafft die Eigenart und Programmatik des Aphaia-Verlages, verschiedene Künste miteinander zu verbinden oder gegeneinander zu stellen, einen beeindruckenden Synergismus aus Lyrik / Prosa und bildender Kunst. Eins belebt das andere, hinterfragt, setzt hinzu.

Des Frühaufstehers ?Morgengedicht?: ?… Im Roggen finde ich Mohn / am Wegrand schleiriges Gras. / So wird dies dein Strauß: Mohn und schleiriges Gras.? steht neben dem Bild ?Mohn? von Beate M. Kicherer, den schleierhaften Pigmenten auf Japanpapier. Das schöne, Vertrautheit zeichnende Liebesgedicht ?Gilda?: ?… / ist sie schon wach? / Was du bist schon wach? / Und ob – ich war schon unterwegs / ich bewundere dich! / ich dich auch!/…?, in dem das lyrische Ich ?ohne Gildas gesammeltes Schweigen? wortlos frühstückt, findet sich neben Xagos poetischem Bild ?Durchsichtig und erinnert?. Eine Stadtwohnung aus wenigen Strichen wird sichtbar, ein Frühstückstisch für zwei mit frischen Brötchen, längst aufgehoben in der Weite der Landschaft, den Assoziationsraum öffnend bis hin zu Nabokovs ?durchsichtigen Dingen?.

Denn, natürlich, bricht die Erinnerung in die Gegenwart ein. Auch bei einem wie Bereska, der im Heute schreibt. Alt ist er nicht. Und hat er Dynamit? – Ein besonderes. Eins, das nicht hoch geht und nichts sprengt. Das noch nicht einmal knallt. Eins, das die Vorstellung evoziert, sich geruhsam bei Beeskow aufs Feld zu legen.

(Wolfgang Städter)

?Kein Mensch ist alt. Die Jahre waren über das Gesicht
und den Körper der Baronin dahingegangen; zeitlos jedoch
sprach ihr Ich: ich bin nicht alt.?

Hermann Broch

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