Die neueröffnete Videothek für Filmliebhaber

Ein Porträt der „Filmgalerie Alpha 60”

(Fotos: Jörn Seidel)

„Wenn ich einen Film zum ersten Mal sehe, sollte das nicht auf Video oder im Fernsehen sein. Zuerst muss man ihn im Kino sehen. Kino und Video, das ist der gleiche Unterschied wie zwischen einem Buch, das man liest, und einem Buch, in dem man etwas nachschlägt. Trotzdem stellt Video mein Leben als Cinephiler auf den Kopf. Nehmen wir zum Beispiel Trouble in Paradise von Ernst Lubitsch: Bis vor kurzem bin ich reingerannt, wenn dieser Film irgendwo im Kino zu sehen war, denn ich wusste, dass gut zwei Jahre vergehen konnten, bevor wieder so eine Gelegenheit kam. Heute kann es vorkommen, dass ich ihn mir drei Mal in einer Woche anschaue. Ihn auf Video zu haben, ermöglicht die wesentlich intimere Kenntnis eines Films. Als Cinephiler bin ich ein Video-Fanatiker.“

François Truffaut, der dieses Bekenntnis in einem Interview 1984 ablegte, könnte heute in Leipzig seinen Fanatismus gebührend ausleben. Seit Ende Mai dieses Jahres hat im Volkshaus in der Karl-Liebknecht-Straße die Filmgalerie Alpha 60 ihre Filmschätze zugänglich gemacht. Mit einem Angebot von bereits 3000 Filmen (Tendenz steigend) ist die ungewöhnliche Videothek, die sich als „Filmverleih für VHS und DVD“ versteht, nicht mehr nur Geheimtipp für Filmliebhaber und anspruchsvolle Gelegenheitsinteressierte, sondern ein Fundus, der sich zu einer Leipziger Institution entwickeln könnte.

Der ehemalige Student Lars Meyer (27) traf mit seiner Idee der Filmgalerie auf die bisher in der Kinobar Prager Frühling tätige, jedoch noch zögerliche Sarah Schipschack (26), die mit Videotheken vor allem dunkle Hinterhöfe und dubiose Nebenräume assoziierte. Erst durch einen Besuch bei dem Berliner Vorbild Filmgalerie 451, das mit freundlichem Rat zur Seite stand, reifte die Vorstellung, die heute, ein Jahr später, auf über 80 m2 Ladenfläche begehbar ist. Allein die offene Fensterfront lockt eher mit dem Charme einer guten Buchhandlung als mit dem Ruch des Verbotenen üblicher Videotheken. Innen laden hohe, helle Decken, eine Sitzgelegenheit ausrangierter Kinosessel, ein Computerverzeichnis und wohl sortierte Regale zum Stöbern ebenso wie zum gezielten Suchen ein.

Die Anordnung und vor allem die Auswahl der Filme, das ist das Kernstück einer jeden Videothek. Die beiden Betreiber stellten sich dieser Herausforderung mit einem enormen Aufwand eigener Recherche in Lexika und persönlichen Filmdatenbanken. Zusammengetragen wurde ein Sortiment, das sich sehen lassen kann. Entstanden ist ein Querschnitt durch die Filmgeschichte, der bis in die Gegenwart aktueller Veröffentlichungen reicht geordnet nach den Genres Klassiker/Experimentalfilm, Doku/queer/FarEast, Originalsprache, Thriller/Krimi, Drama, Komödie, Musikfilm, Kinderfilm, Western/Abenteuer, Serie/Historie, Action, Horror, Liebesfilm und Science Fiction. Hier finden sich verstreut alle 3 bisherigen Filme des jungen deutschen Regietalents Hans-Christian-Schmid ebenso wie Das Cabinet des Dr. Caligari oder zahlreiche Dogma-Filme, aber auch James Bond in all seinen Gesichtern, die Ally McBeal-Serie und die Matrix fehlen nicht.

Spezifisch für den Anspruch der Filmgalerie ist die Sparte Regisseure A-Z. Hier finden sich meistens umfangreich bestückt die Namen wie Hitchcock (mit 22 Filmen vertreten), Woody Allen (28!), Spielberg (18), Scorsese (15), Polanski (12), Fritz Lang (11), Stanley Kubrick (11), Wim Wenders (19) oder auch Tom Tykwer (5), Steven Soderbergh (7), Aki Kaurismäki (4), Pedro Almodovar (9) und andere. Die Sammlungen sind nicht komplett, und die Auswahl scheint manchmal fragwürdig, was aber bei Filmen unterschiedlicher Qualität wie der 42 von Rainer Werner Fassbinder (er ist mit 14 vertreten) und der bisher 50 von Claude Chabrol (hier 10) zwar dennoch schade, aber nicht unbedingt verwunderlich sein muss. Leider wird auch Pasolini nur mit 4 Filmen gewürdigt. Es kann aber auch als Aufforderung verstanden werden, eigene Vorschläge für neue Anschaffungen abzugeben. Dabei tritt jedoch oftmals das eigentliche Problem zutage. Vor allem alte Filme sind häufig nur in der Originalsprache erhältlich oder gar nicht mehr und fehlen so zwangsläufig im Programm. So sei es auch mit Lubitschs Trouble in Paradise ergangen – armer Truffaut! Dafür hat er nun selbst mit 11 seiner Filme Einzug ins Regal der Regisseure gefunden.

Manchmal sind Filme auch ausschließlich auf DVD verfügbar, was zwar den Anreiz für die Anschaffung eines Players für dieses neue, überragende Medium erhöht, jedoch nicht im unmittelbaren Interesse der Betreiber liegt. Die DVD, die einen Anteil von etwa 500 des gesamten Filmbestands einnimmt, soll als Zweitexemplar dienen und die VHS ergänzen. Der Reiz der DVD liegt neben der hervorragenden Bild- und Tonqualität vor allem an dem Bonus-Material, das nicht selten jedoch bloß den Kinotrailer beinhaltet, manchmal aber auch die Auswahl diverser Sprachen, ein Making-of, Interviews und einiges mehr.

Welche Filme in der Filmgalerie erhältlich sind und auf welchem Medium, das erfährt man am besten auf der Homepage – eine weitere Seltenheit in der Branche. Hier sind alle Filme nach Titel, Regisseur, Sprache und sogar nach Schauspielern geordnet, was die gezielte Suche erheblich vereinfacht. In naher Zukunft soll die Kategorisierung noch vorangetrieben werden, und Sparten wie Genres, vielleicht auch Literaturvorlagen oder Produktions-Länder das Online-Stöbern attraktiver gestalten. Bisher fehlen den Filmen jedoch noch einheitliche Beschreibungen. Abhilfe schafft der Anreiz, selbst einen Kommentar zu verfassen und dafür einen Euro gutgeschrieben zu bekommen.

Die Preise für die Ausleihe liegen im Vergleich zu anderen Videotheken im mittleren bis oberen Niveau, das Preissystem erweist sich aber bei genauerer Betrachtung als flexibel. Die Ausleihgebühr wird pro Tag berechnet und beträgt 1,60 €, über Nacht also 3,20 €, Clubmitglieder zahlen nur 1,20 €. Die Clubmitgliedschaft kostet im Jahr 10,00 €, was sich erst bei 25 Filmen bzw. 13 über Nacht rentiert. Der Trick: Die Mitgliedschaft kann zu zweit beantragt werden, wodurch sich der Jahresbeitrag halbiert. Ungewöhnlich: Auch Jugendliche haben Zutritt und können mit einem eigenen Personalausweis oder der Erlaubnis der Eltern die FSK-freigegebenen Filme ausleihen.

In Leipzig hat die Filmgalerie eine Marktlücke geschlossen. Sie setzt neue Maßstäbe – so schließlich tat es zeitlebens auch Jean-Luc Godard, dessen Film Lemmy Caution gegen Alpha 60 dem „Filmverleih für VHS und DVD“ zu seinem Namen verhalf. In der von Computern beherrschten, entmenschlichten Welt von Alphaville, in der die Parallelen zu unserer heutigen unübersehbar sind, ist der einzige Ausweg allein noch in der Poesie zu finden. Die Poesie des Kinos findet man nun auch in der Filmgalerie Alpha 60.

Filmgalerie Alpha 60

Filmverleih für VHS und DVD
Karl-Liebknecht-Straße 30 / Volkshaus

Montag-Freitag 14-23 Uhr, Samstag 11-23 Uhr

www.filmgalerie-alpha60.de

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.