„Spannungen zum Aushalten“

Der Auftakt der Gewandhaussaison 2003/2004 mit Sopranistin Pia Freund

Piep, piep………………..piep, piep. Ach ja heute mal sofort aufstehen, frische Brötchen holen, einen Freitag mal geruhsam beginnen. Leider wird dann doch nichts draus mit dem Geruhsam – zweimal Kakaomilch umgekippt, einmal auf den Teppich gepullert, aber immerhin frische Brötchen zum Freitag !

Nach Zwischenstopp am Kindergarten, auf die Autobahn mit MDR – Kultur: „Saisonauftakt im Gewandhaus mit einer deutschen Erstaufführung von „Quatre Instants“ von Kaija Saaria-ho………“. Halt ! Neue Musik zum Auftakt der Neuen Saison, eigentlich nicht schlecht. Aber was ist denn in Herrn Blomstedt gefahren, wenn das mal gut geht Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich Frau Schirbel vom Gewandhausshop vor drei Jahren mühsam Kaija Saariaho buchstabieren musste und nun heute Abend eine deutsche Erstaufführung derselben. Leider schon zwei Abende diese Woche unterwegs gewesen, na mal sehen…………

19.15 Uhr – daheim, da kommt die Erinnerung an das morgendliche Radio – Saisonauftakt im Gewandhaus. Schnell noch mal im Kreuzer versichern. Das Stadtmagazin liegt völlig zerfled-dert vor dem Klavier, die Seite vom 29. 8. 03 ist aber auch nach dreimaligen entblättern und glätten nicht zu finden. Nach dem Bericht über die heutige Klavierstunde, wo der Kleinste gerade diese Seite zerkauen musste, finde ich 19.30 Uhr das Konzert auf der Website des Gewandhauses. Begeisterung ernte ich zwar nicht mit der Ankündigung gleich zu verschwinden, ohne allzu große Gewissensbisse verlasse ich aber nach einem Ohnmachthappen das Haus.

Als Student gehe ich leider nicht mehr durch, aber nachdem die Dame an der Kasse den Kartenpreis noch mal deutlich sagte: „siebenundzwanzig“, ich hatte sieben zwanzig verstanden, sieht es schlecht aus für die Neue Musik und für mich. Nach einem „Na warten Sie mal junger Mann“, der Möglichkeit doch eine Studentenkarte für zehn Euros zu kaufen und dem Angebot einer nicht genutzten Gruppenkarte, bin ich plötzlich im Besitz einer Freikarte, es ist ja auch schon 19.58 Uhr.

Parkett Mitte Reihe 14. In einleitenden Worten weiht der Gewandhauskapellmeister den A-bend dem C – Dur: Nielsens „Erste“ über einhundert Jahre alt, aber das erste Mal im Ge-wandhaus, dann „Quatre Instants“ von Saariaho und zum Schluss die „Eroica“ alles Kompositionen, die dem C – Dur huldigen, doch halt ganz zum Schluss natürlich noch das Saisonauftaktbüffet, was die Leute in der Pause schon sichtlich nervös werden lässt.

Carl Nielsen, überaus erfolgreich schon zu Lebzeiten trotz oder vielleicht gerade wie Zeitgenossen mit Nietzscheanischen Pathos berichten „……die Wege, die er wandelt, keine beque-men, gemüthlichen Landstrassen durch freundliche Fluren und duftende Wälder, nein, schroffe Gebirgspfade sind, durch Schnee und Eis, durch Kluft und Gruft.“. Solche Gefühle kann uns das Werk natürlich heute nicht mehr vermitteln. Die heutige Aufführung des Gewandhauses hinterlässt zudem noch das Gefühl viel Musik, aber wenig Zusammenhänge des Werkes vermittelt bekommen zu haben. Nur zum Teil gelingen dem Orchester unter Blomstedt, die aufregende Instrumentation nutzend, längere Sequenzen Nielsens Musik vollständig in den Griff zu bekommen.

Doch jetzt von Dänemark nach Finnland. Kaija Saariaho ist eine Vertreterin jener finnländischen Komponisten- und Interpretengeneration, welche sich seit Jahrzehnten überaus deutlich und nachhaltig bemerkbar macht.
Weshalb generiert ein Land mit 5 Millionen Einwohnern derart viele erstklassige Musiker? Nationale Tondichtung ist in Finnland zeitlich und inhaltlich unmittelbar mit dem Streben nach und der erst vor einem Jahrhundert erlangten nationalen Unabhängigkeit verbunden. Nicht umsonst gehört das Sibelius – Denkmal in Helsinki zum festen Bestandteil jeder Stadt-besichtigung. Die These, dass diese Kultur noch unvereingenommener, frischer und weniger mit geschichtlichen „Ballast“ beladen ihren Ausdruck findet, gefällt mir eigentlich ganz gut.

Saariahos Musik ist meist von konkreten Phänomenen in Natur, Literatur oder Malerei inspiriert. Ihr früher Kontakt mit am Computer generierter Musik am Pariser Institut de Recherche et de Coordination Acoustic / Musique ist ein Teil Ihrer Handschrift geworden. Die klanglichen Momente und die Farben stehen deutlich im Vordergrund, jeder Teil Ihrer Kompositionen ist klar und eindeutig detailliert. Im letzten Jahrzehnt Ihres Schaffens taucht ein neuer zuweilen klassischer Aspekt auf: Die Klangfarben treten hinter die Linien der Komposition – hinter das Melodische zurück, so auch im Vokalzyklus „Quatre Instants“.

Die vier Liebesgedichte von Amin Maalouf beschreiben in einfacher offener Weise Wünsche, Erwartungen, Sehnsüchte und vor allem Widersprüche. Auch die Form der Gedichte ist offen: Nur durch Widerholungen oder geringe Veränderungen des Textes in Inhalt und Klang ent-seht die Linie, werden Schwingungen erzeugt, ja es gelingt Maalouf eine Art Trance entste-hen zu lassen.

Damit ist auch schon fast die Musik beschrieben. Vielfarbig von Wiederholungen und Nuancierungen getragen bettet sie uns auf einen schwebenden Teppich. Die dramaturgischen Ele-mente sind dabei vor allem die Gegensätze von Melodie – Streicher und Geräusch – Xylophon und Harfe, von monotonen rhythmischen Figuren und unregelmäßigen sich entwickelnden Rhythmen. In den Übergängen, da wo sich diese Gegensätze treffen oder ineinander überge-hen entstehen die Spannungen und lösen sich wieder , vergleichbar der harmonischen Dramaturgie tonaler Musik.

Besonders eindringlich gelingt den Interpreten das dritte Gedicht – „Duft des Augenblicks“. Die Ambivalenz der widerstreitenden Gefühle zum einen das Glück eines Augenblicks be-sonders fest halten zu wollen, andererseits aber dadurch schon die Erinnerung in Gang zu setzen – das Glück zu trüben, tritt fast physisch in Erscheinung. Musikalisch überwiegen aber deutlich die freudigen Töne – Frau Saariaho muss eine glückliche Frau sein.

Nach dem Wandeln zwischen der Leipziger Prominenz in der Pause auf zur „Eroica“. So ein komisches Gefühl den Abend lieber nach der Neuen Musik enden zu lassen hatte ich schon, nach den ersten Takten wird es zur Gewissheit. Da so eingängig und bekannt wie die Erkennungsmelodie von Uli Wickerts Tagesthemen verfliegt der Zauber des Besonderen. Mit mei-nem persönlichen Problem kämpfend muss ich doch zumindest im zweiten Satz die Leistung des Gewandhausorchesters anerkennend zur Kenntnis nehmen. Sehr nuanciert und geschmei-dig führt Blomstedt das Orchester durch die Partitur, welches aber nach dem Überschwang des Kopfsatzes erst mal regelrecht zum Piano gezwungen werden muss.

Begeisterter Jubel mit dem letzten Takt, sehr eilig strömen die Leipziger aber gleich dem Büffet zu, und nachdem ich als einer der letzten den Saal verlassen habe, erwartet mich das vorausgeahnte Bild: Umhereilende Erwachsene, meist älteren Datums versuchen möglichst ausgiebig an den kulinarischen Genüssen zu partizipieren – bis zu sechs Schnittchen pro Teller sind keine Ausnahme. Aber erzeugen nicht gerade die Gegensätze und ihre Überschneidungen die Spannung ? Schmunzelnd mit einer Salzbrezel in der Hand verlasse ich befriedigt das Konzerthaus.

Auftakt Gewandhaussaison 2003 / 2004

Sinfonie Nr. 1, Carl Nielsen ( 1865 – 1931 )
Quatre Instants, Kaija Saariaho ( geb. 1952 )
Sinfonie Nr. 5, Ludwig van Beethoven ( 1770 – 1827 )
Gewandhausorchester unter Herbert Blomstedt
Pia Freund, Sopran

29. August 2003 ,20.00 Uhr, Gewandhaus zu Leipzig

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