Ein Rückblick

Blomstedts Beethoven-Zyklus in der vergangenen Gewandhaussaison: Ein Kommentar

Mit dem Ende der Gewandhaus-Saison 2002/2003 ist auch Herbert Blomstedts Beethoven-Zyklus zum Abschluss gekommen. Manch eine(r) wird sich zu Beginn gefragt haben, ob man einen solchen Zyklus denn wirklich brauche, wo doch Beethovens Sinfonien ohnehin ständig gespielt werden, besonders im Gewandhaus. Was ist der Grund dafür, dass diese Musik immer wieder aufs Neue fasziniert, immer wieder die Konzertsäle füllt bzw. sogar als Weltkulturerbe ins Weltall befördert wird, um fremden Lebensformen die menschliche Kultur nahe zu bringen?

Beethovens Sinfonien sind zunächst einmal weltbekannt. Die scheinbare Trivialität dieser Feststellung täuscht über ihre Bedeutung hinweg: Die Allgegenwart Beethovenscher Musik bringt ihr fast von selbst einen hohen Wiedererkennungswert ein, und was die Menschen kennen, das hören sie nun einmal besonders gern. Unbekanntes hat es da weitaus schwerer. Sämtliche Sinfonien von Jean Sibelius in einer Saison würden wohl kaum allein für einen ausverkauften Saal sorgen. Blomstedts Beethoven kommt der Sehnsucht nach Vertrautem insofern nach, als er keine revolutionär neue Beethoven-Sicht präsentiert. Ungewohnte Akzente gibt es durchaus hin und wieder, im großen und ganzen klingt dieser Beethoven aber im besten Sinne „klassisch“.

„Ein Künstler war er, aber auch ein Mensch, Mensch in jedem, im höchsten Sinne.“ Dieser Satz Franz Grillparzers aus der Grabrede für Beethoven weist auf einen entscheidenden Aspekt der Beethoven-Rezeption hin. Beethovens ursprüngliche Widmung der „Eroica“ an den Revolutionär Napoleon oder die Tatsache, dass er in seiner neunten Sinfonie Schillers „Ode an die Freude“ mit ihrem „Alle Menschen werden Brüder“ vertonte, weisen auf Beethovens ausgeprägten Humanismus hin, welcher ihn zur idealen Identifikationsfigur auch eines heutigen Publikums werden lässt. Anders als Wagner oder Pfitzner, denen (ob zu Recht oder nicht, ist hier nicht von Belang) immer wieder moralische und/oder politische Mängel angelastet werden, steht Beethoven für den aufopfernden Künstler, der die Menschheit beschenkt, ohne Aussicht auf Anerkennung. Grillparzer: „Er entzog sich den Menschen, nachdem er ihnen alles gegeben und nichts dafür empfangen hatte.“ Herbert Blomstedt ist vielleicht wie kein zweiter dazu prädestiniert, die humanistische Seite Beethovens in Erinnerung zu rufen; denn auch für ihn ist Musik weit mehr als Unterhaltung oder gar Repräsentation. So hielt Blomstedt beispielsweise im ersten Konzert des Zyklus eine Ansprache, in welcher er auf die nahezu prophetische Aktualität von Beethovens Musik im Angesicht der Hochwasserkatastrophe hinwies, welche ein solidarisches Zusammenhalten zwischen den Menschen offenbart habe. Noch ein Aspekt also, der Blomstedts Gesamtschau zu etwas Besonderem macht: Es geht um mehr.

Nun ergeben bekannte Kompositionen und ethische Implikationen aber allein noch keinen erfolgreichen Konzertzyklus. Erfreulicherweise gibt es aber auch von der musikalischen Seite nur Gutes zu berichten. Von der unbeschwert-überschwänglichen „Ersten“ bis zum ergreifenden Schlusschor der „Neunten“ – dieser Beethoven atmete durchweg eine wohltuende Frische, die oftmals vergessen ließ, wie oft man diese Musik schon gehört hat. An dieser Stelle sollen die Einzelheiten aus den jeweiligen Rezensionen nicht wiederholt werden (siehe dort). Eines aber steht fest: Gefühl und Verstand waren gleichermaßen angesprochen, und wenn Blomstedts Beethoven-Zyklus in einem Wort zusammengefasst werden müsste, so würde dieses lauten: Ausgewogenheit.

Wenn es Menschen gibt, die das mit Langweiligkeit verwechseln, dann ist es wohl eher ihr Problem.

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