Neue Filme von Haußmann und Herzog

Die 3. Filmmesse Leipzig in der Schaubühne Lindenfels und den Passage Kinos

„Herr Lehmann“ (Bild: Verleih)

Wie anders als mit einer Hoffnungsbotschaft hätte die 3. Leipziger Filmmesse, die in der letzten Woche in der Schaubühne Lindenfels und den Passage-Kinos stattfand, zu Ende gehen können: Das Ergebnis ist die Fusion der zwei Programmkino-Verbände unter dem neuen Doppelnamen AG Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater, was für den Zuschauer letztendlich bedeuten soll, auch in Zukunft gute, anspruchsvolle Filme sehen zu können. Durch die Verschmelzung soll die Stimme der Arthouses bzw. der Programmkinos oder auch Filmkunsttheater lauter werden neben den Multiplexes und dem Mainstreamprogramm. Die Kinobetreiber erhoffen sich spezifische nationale Kampagnen und eine eigene Film-Hitliste. Zunächst einmal soll ein sogenanntes Arthouse-Label gegründet und eine einvernehmliche Kategorisierung der Filme in „Kunst“ und „Mainstream“ gefunden werden. Fünf Tage trafen sich nun rund 670 Fachbesucher, v.a. Kinobetreiber und Filmverleiher, um über dies und vieles anderes, vor allem aber über die 53 gezeigten, neuen Filme aus dem Segment der Filmkunst zu diskutieren. Eine Reihe der Filme kamen zur öffentlichen Aufführung, und die Leipziger kamen in Strömen, das Angebot zu sichtigen und zu beurteilen, das in den kommenden Monaten anlaufen wird. Besucherrekorde verzeichneten Herr Lehmann, Noi Albinoi und Die Invasion der Barbaren, aber auch anderes Entzückendes war dabei zu entdecken.

Nach dem lange anhaltenden Umsatzrückgang in der Filmbranche, der die Filmkunst jedoch weit weniger betraf als den Mainstream, soll die Filmmesse nun frohe Botschaft über viele neue gute Filme verkünden. Der Leipzig-Almanach widmet sich in drei Artikeln dieser Verheißung, wobei zwei allein dem deutschen Film gewidmet sind. Dabei spiegelte sich auf der Filmmesse bzw. auf der Seite der Kinobetreiber dieselbe Problematik wider, mit der die vielen kleinen Verleiher in der spezifischen deutschen Marktsituation zu kämpfen haben: die Desorganisation der Filmstarts führt zu einer Schwemme, in der sich die Filmkunst das Publikum gegenseitig abgräbt, statt sich gemeinsam gegen den Mainstream zu verbünden. Während die Verleiher auf der Filmmesse also in den brancheninternen Vorführungen oftmals verzweifelt ihre Hoffnung auf die Aufmerksamkeit der Presse für ihre Filme äußerten, wurde der Presse lediglich der Zutritt für die zuhauf parallel laufenden öffentlichen Vorführungen gestattet. Es wäre also noch über weitaus mehr Filme zu berichten – und für den neuen Programmkino-Verband noch vieles zu verbessern.

Nebenbei verliehen die Mitteldeutsche Medienförderung und der Mitteldeutsche Film- und Fernsehproduzentenverband erstmals den jährlichen Kinoprogrammpreis Mitteldeutschland, wobei Leipzig neben Dresden als herausragendes Zentrum der Filmkunst geehrt wurde. Die Schaubühne Lindenfels wurde für ein „hervorragendes Jahresfilmprogramm 2002“ mit einer Prämie von 5000 Euro ausgezeichnet, Urkunden für ein „besonders gutes Filmprogramm 2002“ erhielten u.a. das Cineding, die Passage-Kinos und die Schauburg. Der Hauptpreis ging an das Kino im Dach in Dresden.

Rad der Zeit

Mit einem Dokumentarfilm machte der soeben nach Leipzig umgezogene Verleih Kinowelt auf sich aufmerksam. Werner Herzogs Rad der Zeit transformiert seinem Publikum visuell die Erfahrung von Religiösität und Spiritualität und entwirft damit gleichzeitig ein positives Gegenbild zur Problematik, die Filme wie der palästinensische Beitrag Rana’s Wedding und der algerische Rachida thematisieren, die die extremistische, gewaltsame Ausübung von Religion in ihr Zentrum stellen und daraus ihr politisches Engagement entwickeln. Rad der Zeit blickt dagegen in das Innere der Religion und wirkt dabei wohltuend und inspirierend ohne dabei jedoch zu missionieren.

„Rad der Zeit“ (Bild: Verleih)

Den Rahmen bildet die Kalachakra Initiation, eines der wichtigsten buddhistischen Rituale, zu der jährlich hunderttausende Gläubige nach Bodh Gaya in Indien pilgern, um an Unterweisungen in der buddhistischen Lehre teilzunehmen, an Gebeten, philosophischen Debatten und an der Initiation („Einweihung“) unter dem Vorsitz des Dalai Lama. Mittelpunkt des Pilgerorts ist der Baum in fünfter Generation, unter dem vor zweieinhalb tausend Jahren Buddha zu seiner Erleuchtung fand. Den Menschenmassen und ihren befremdlichen Ritualen nähert sich Herzog mit würdevoller Intimität. Die Handkamera ist mitten im Treiben, im Geschehen der Zeremonie und blickt dem Dalai Lama über die Schulter bei der Herstellung eines Sandmandalas. Seine Heiligkeit selbst führt in einem Interview in die komplizierte Ideenwelt des Rituals ein und spricht dabei unverblümt vom Zentrum des Universums in jedem Menschen selbst – eine geradezu westliche, unorthodoxe Sichtweise.

Herzog konzentriert sich mit warmherziger Stimme auf sachliche Kommentare, denen er zaghaft zunehmend persönliche Überlegungen beifügt. Programmatisch für den Film zitiert er den Dalai Lama: „Bleibt in eurer Kultur, bleibt in der Religion, die euch kulturell zugehörig ist. Aber studiert den Buddhismus, denkt euch in die Denkweise hinein. […] Das Kennen lernen des anderen – vor allem das religiöse Empfinden des anderen zu erfahren – ist der einzige dauerhafte Garant für die Erhaltung des Friedens.“ Dieser Erkenntnis stehen die Bilder im Widerspruch, die Herzog ein Jahr später im österreichischen Graz macht, als der Dalai Lama die Kalachakra Initiation auf Einladung der dortigen buddhistischen Gemeinde ausnahmsweise nicht in Indien abhält. Die riesige Halle mit den zumeist europäischen Gläubigen wirkt steril, die Zeremonie gewollt und künstlich, ohne dass Herzog dies absichtlich hervorheben wollte.

Nach einem Ausflug zum Berg Kailash in Tibet, auf den Herzog andere Pilgerer auf über 5000 Metern Höhe begleitet und selbst zum Kameramann wird, um das Drehverbot der chinesischen Behörden zu umgehen, endet der Film wieder in Bodh Gaya bei dem verlassenen Ort des Geschehens, tausenden leeren Sitzkissen und einem übrig gebliebenen wie vergessen wirkenden Betenden, dessen Erleuchtung man erahnen mag. In Erinnerung bleibt eine Reise in die Farbenpracht, Demut und Friedlichkeit des Buddhismus und die Freude, welche intensive Wirkung ein Dokumentarfilm zu inszenieren vermag.

Herr Lehmann

Eines der Highlights der Filmmesse war sicherlich Herr Lehmann, Leander Haußmanns lange angekündigte Verfilmung des gleichnamigen Romans von Sven Regener, dem Texter, Sänger und Trompeter von Element of Crime. Allein das Buch ist lange Zeit ein Bestseller und gleichzeitig gelobt von der Kritik. Dem erfolgreichen Theatermacher Haußmann bot der Stoff die ideelle Möglichkeit, an seinen Erfolgsfilm Sonnenallee anzuknüpfen, diesmal jedoch aus West-Berliner Perspektive – so jedenfalls kündigt er sich an. Und tatsächlich schaffen es Autor und Regisseur über erheiternde Umwege ein adäquates Bild West-Berlins zu entwerfen. Enstanden ist ein weiteres Mal kein Geschichtsfilm, der die Probleme nüchtern ausdiskutiert, sondern abermals eine witzig ironische Komödie mit sarkastisch, zärtlichem Hintergrund, dem ein kleiner Gehalt von Wahrheit innewohnt.

Herr Lehmann ist Lebenskünstler, Biertrinker und Barmann, dessen einziges Bedürfnis nicht viel mehr ist, als ruhig und geordnet und ein bisschen versifft in den Tag hinein zu leben. In seinem Mikrokosmos Kreuzberg im Jahre 1989 wimmelt es von Gleichgesinnten, von Philosophen, Tunten, Künstlern, Koksern und anderen Gestalten, die inmitten einer feindlich gesinnten Welt ihre Enklave und das Recht auf Stillstand gegen jede Form von Veränderung verteidigen. Das alles ändert sich, als eine Reihe von Erschütterungen Herr Lehmanns Frieden stören. Es beginnt harmlos mit einem aufdringlichen Hund, der ihm nach der Arbeit den morgendlichen Heimweg versperrt und sich erst durch eine Flasche Whisky zufrieden stellen lässt. Dann plötzlich tauchen die Eltern auf, um mal zu sehen, wie ihr Sohn so lebt und dann trifft Herr Lehmann auch noch auf die schöne Köchin Katrin, die ihn mit dem Begriff Lebensinhalt konfrontiert und fortan seinen Gefühlshaushalt durcheinander wirbelt, bis nicht zuletzt ein bis dato unbekannter Kristallweizen-Trinker für weitere Unruhe sorgt. Dabei steht das größte Unheil am 9. November eigentlich erst noch bevor: Herr Lehmanns 30. Geburtstag.

Glänzend besetzt und hervorragend gespielt wird Herr Lehmann von Christian Ulmen, dem Ex-MTV-Moderator in seiner ersten Hauptrolle, überragender Gegenpart für die witzigen Wortgefechte ist Katja Danowski als Katrin und neben vielen anderen überraschen Karsten Speck als Detlev, die Lederuschi, und der Chansonier Tim Fischer als Sylvio in urkomisch tuntigen, selbstironischen Rollen. Detlev Buck, als Lehmanns bestem Freund Karl, kommt als zunehmend ausrastendem Künstler nicht bloß die Rolle des ewig Witzigen zu, die er sowieso ständig spielt, sondern gar eine ernste Schlüsselrolle. Denn bei all den Unruhen schleicht sich dem Zuschauer omnipräsent das Wissen um die Ereignisse des Mauerfalls ein und die Erwartungshaltung, wann denn nun endlich die Komödie doch noch ein Bild des anderen Berlins entwirft. Karl übernimmt als Künstler und damit einzig geistig befreite, aber dadurch auch gefährdete und schwer ernstzunehmende Figur die Funktion des Hellsehers, der Herrn Lehmann nach einem Anfall von Wahn, Übernächtigungs- und wohl Drogenexzessen zuflüstert, man müsse mehr an den Osten denken!

Spätestens, wenn sich nun die Katastrophen ihrem Höhepunkt nähern, wird offensichtlich, dass Herr Lehmanns persönlicher Zusammenbruch seiner überschaulichen, übersichtlichen Welt ein Abbild der notwendigen Veränderungen der Republik ist. Die spezifische Stimmung im West-Berlin der achtziger Jahre, von der berichtet wird, war nämlich die der zunehmend unerträglicher werdenden Enge, des Miefs des Eingeschlossenseins, das allein im eigenen Sinne die Maueröffnung bitternötig machte. Regener/Haußmann zeichnen für diesen Mief keine realistisch erdrückenden Gemütsbilder nach, sondern finden die Zuflucht in der Ironie der Komödie, in der ein eigentlich schwieriges Thema ein genüsslicher Anschlag auf die Lachmuskeln wird. Seit langem eine der besten deutschen Komödien! Der kommende Erfolg zeichnete sich bereits beim überwältigenden Andrang des öffentlichen Publikums ab, dem die Passage-Kinos gar mit einer Zusatzvorstellung dankten.

3. Filmmesse Leipzig

8. – 12.9.2003, Schaubühne Lindenfels und Passage Kinos


Rad der Zeit

GB/BRD/F 2002, 80 min
Regie+Buch: Werner Herzog
Kamera: Peter Zeitlinger
Special Appearance: Dalai Lama
Filmstart: 30.10.2003



Herr Lehmann
BRD 2003, 105 min
Regie: Leander Haußmann
Buch: Sven Regener nach seinem gleichnamigen Roman
Kamera: Frank Griebe
Darsteller: Christian Ulmen, Detlev Buck, Katja Danowski
Filmstart: 2.10.2003


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