Durs Grünbein stellt den Autor Aris Fioretos vor (Stefan Rosmer)

17.09.03, Haus des Buches

Durs Grünbein stellt den Autor Aris Fioretos vor

Mittwochabend zur Tagesschauzeit. Man wartet, daß der Saal sich mit Besuchern füllt, und ich lasse meinen Blick über den schmalen Nacken mit Lederschnurhalsband links vor mir gleiten, an der Linie des schwachen gelben Lichts entlang aufwärts über die kurzen Haare. In der unterkühlten Atmosphäre etwas Sinnlichkeit, bis die Dichter das Podium betreten: Grünbein – der Meister gewissermaßen – forsch in Schwarz voran, dahinter in braunem Cord Fioretos, der zuerst etwas verlegen an der Lampe hantiert. Während die Einleitungsworte gesprochen werden und ich nochmals den Nacken begutachte, suche ich nach der möglichen Seelenverwandtschaft zwischen Grünbein und Fioretos.

Grünbein beginnt die Lesung mit einem wunderbaren Hommage-Text an Fioretos und beschreibt die Intensität des ersten Sehens: Fioretos als geschmeidiger Dolmetscher beim deutsch-schwedischen Dichtertreffen. Die grünbeinschen Sprachbilder steigen auf: eigenwillig die Hundemetapher, er und Fioretis, die sich am Geruch erkennen jenseits von Reflektion, angezogen von einem ?Psychomagnetismus?. Ich werde hellhöriger und lasse den schönen Nacken in Ruhe. Grünbeins Sprache macht wach, die Bilder sind dunkel und dicht, doch von einer gleichsam unterbewussten Logik. Fioretos antwortet mit einem Text aus Mein schwarzer Schädel über einen Mensch mit zwei Gehirnen. Worauf Grünbein mit dem Gedicht Vom Gehirn eine Lektion entgegnet, das Körper und Verstand gegenüberstellt. Es gibt leicht angespannte Pausen, die das Publikum offenbar nicht mit Zwischenapplaus füllen will. Wird der Körper und seine Verfasstheit und Macht über den Geist zum Generalthema des Abends werden?

In der Tat thematisieren Fioretos Romane, Die Seelensucherin und Die Wahrheit über Sascha Knisch, die ersten Teile einer geplanten Triologie, die biologistische Sichtweise auf den Menschen in den 20er Jahren, in der der Körper die sexuelle und psychische Verfasstheit des Menschen bestimmt. Aber Fioretos‘ und Grünbeins Texte treten zusehends in Distanz zueinander, vor allem stilistisch. Fioretos Erzähler Knisch schlägt einen leichten Plauderton an, dagegen sind Grünbeins Gedichte von ausgearbeiteter Sprachdichte.

Allmählich geht die Lesung in ein kurzes Gespräch über. Zuerst etwas über den historischen Roman, nur leidlich interessant. Das Gespräch wird sachlich-analytisch, ich schiele, noch von der Intensität der Texte gefüllt, wieder nach dem Nacken, als Fioretos sagt: Literatur sei eine Art von Erkenntnis für beide. Zu Beginn, erinnere ich mich, las Grünbein, sie beide verbinde, in den Schmerz Ordnung bringen zu wollen. So macht der thematisierte Biologismus und die Wissenschaftsmetaphorik einen literarischen Sinn: den eigentlich ganz unkörperlichen unterkühlten Weltschmerz etwas aufräumen zu wollen, das erfahrene amorphe Leiden in der literarischen Körpermetapher zu beschreiben und in den Griff zu bekommen. Hier könnte, jenseits der anthropologischen Spekulation, ihr gemeinsames Interesse liegen.

(Stefan Rosmer)

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