Beste deutsche Musiktradition

Der Nationalfeiertag mit den Berlinern Philharmonikern im Konzertsaal

Eigentlich bestand das Programm an diesem Abend aus vier Stücken. Zugegeben, so schön hat der Rezensent die Nationalhymne noch nie gehört. Meilenweit von den Darbietungen verblichener Sangeskünstler entfernt, die bei Länderspielen der Fußball-Nationalmannschaft es immer wieder schaffen, dass man am Fernsehgerät den Ton ausstellt. Auch die ehrenwerte und vielleicht nächste Bundespräsidentin Jutta Limbach mühte sich redlich, ein paar staatstragende Worte zu finden. Vorschlag für den nächsten 3. Oktober: die Politik an der Garderobe abgeben und nicht mit in den Konzertsaal nehmen.

Dann aber trat die Musik in den Vordergrund. Mit Wolfgang Sawallisch stand ein Mann am Pult, der bereits vor fünfzig Jahren sein erstes Konzert mit den Berliner Philharmonikern bestritt. Damals war er gerade zum jüngsten Generalmusikdirektor Deutschlands (in Aachen) berufen worden. Seitdem war und ist die deutsche Klassik ein Grundpfeiler des Arbeitens des 80-Jährigen. Sawallisch muss sich und anderen nichts mehr beweisen. Nach Stationen beim Philadelphia Orchestra und der Bayerischen Staatsoper ist er im Herbst seines Schaffens angekommen. Also nichts mit historischer Aufführungspraxis, die das Publikum immer spaltet. Denn bei Sawallisch wirkt die Musik wie ein Elixier, strafft sich sein Oberkörper mit dem ersten Takt. Seine Autorität ist auch noch in der zwanzigsten Reihe zu spüren. Sparsam sind seine Bewegungen, mal hier eine Armbewegung, mal hier ein Zucken mit der Augenbraue. Die Kontrabassisten sind fast aus dem Blickfeld Sawallischs entschwunden und sich selbst überlassen. Und so war Schumanns „Ouvertüre, Scherzo, Finale“ op. 52 wie ein Gang ins Tonarchiv. Nichts Verstelltes, Tradition (im positiven Sinne) pur. Die Bläser traten mit einem wahren Hohelied auf ihre Kunst hervor. Große Sachlichkeit und Konzentration auf das Wesentliche auch bei Schumanns vierter Symphonie. Große Bühne für das Orchester, das seinen Klangteppich in voller Breite ausrollte.

Beethovens fünftes Klavierkonzert und Maurizio Pollini. Wie würde der Italiener sich an diesen Titan heranmachen? Eines war schon nach den ersten, fast unscheinbar gespielten Akkorden klar. An Elan und Einsatzwillen sollte es nicht mangeln. Von der grandiosen Musik des ersten Satzes angesteckt, wippte Pollinis Kopf im Takt der Orchesterkollegen, als könne er seine Einsätze kaum erwarten. Ob er gesehen hat, wie ein junger Kontrabassist sein Instrument wie eine junge Geliebte in seinen Armen wog? Sawallisch, sitzend, hatte während des gesamten Stückes keinen Blickkontakt zu Pollini. Den brauchte er auch nicht, konnte er sich doch auf die Qualitäten des italienischen Pianisten verlassen. Dass Pollini keine überflüssigen Gesten mag, zeigte er wieder an diesem Abend. Statt bei dem riesenhaften Werk den großen Hammer herauszuholen, entschied er sich für die wesentlich effektivere, weil zurückhaltendere Variante. Sozusagen für den Catenaccio im Konzertsaal. Gerade der Spagat zwischen unnachgiebigem Nachsetzen und träumerischer Schwelgerei ist die Kunst, die es bei Beethovens fünftem Klavierkonzert zu beherrschen gilt. Als Dank gab es begeisterten Beifall.

Robert Schumann: Ouvertüre, Scherzo, Finale E-Dur op. 52
Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur op. 73
Robert Schumann: Symphonie Nr. 4 d-Moll op. 120

Berliner Philharmoniker, Dirigent: Wolfgang Sawallisch
Maurizio Pollini, Klavier

3. Oktober 2003 Berlin, Philharmonie

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