Ein Bach-Sohn, zwei Bach-Schüler und am Schluss der alte Bach selbst: Waltraut Wächter und Christoph Schöner mit Musik aus dem 18. Jahrhundert
Was gibt es an einem verregneten Herbstabend schöneres als ein Konzert im Sommersaal des Bach-Archivs? Gestärkt mit Kaffee und Kuchen schlendert man durch die erlesen schönen Gänge, prächtig, aber nicht feudal. Eher ein gemütliches Wohnzimmer der Spitzenklasse.
Das Programm verspricht einen Bach-Sohn, zwei Bach-Schüler und am Schluss den alten Bach selbst. Carl Philipp Emanuels Sonate erfährt genau die Behandlung, die sie in ihren Affekten verlangt – Zartheit, leise Melancholie, gemessene Freude. Waltraud Wächter entlockt ihrer Barock-Violine einen vollen Klang, der auf die Emotion nicht verzichtet.
Johann Philipp Kirnbergers Fugen, auf einem portablen Schuhkarton von Truhenorgel vorgetragen, entfalten dagegen etwas ganz anderes: den trockenen, nun, Charme einer mitteldeutschen Schulstube, Mitte des 18. Jahrhunderts. Und man verspürt vielleicht etwas wie Tragik. Kirnberger, Bach-Schüler und eine der theoretischen Leuchten seiner Zeit, bringt es bei aller Regelbeherrschung nicht fertig, ein Kunstwerk zu schaffen. Korrekt setzen die Stimmen ein, keinen Satzfehler erlaubt sich Kirnberger mit seiner demonstrativen Kunstfertigkeit. Oder handelt es sich um ein Demonstrationsstück, das zeigt, wie totale Regelbefolgung ins Abseits führt?
Da geschieht etwas Wunderbares. Christoph Schöner wendet sich an die etwa dreißig Zuhörer und erzählt von der Musik. Er sei zwar von seiner Duopartnerin gebeten worden, dies zu unterlassen, doch er erzählt dennoch von Kirnberger, von seinen Erfahrungen mit dem Stück. Gut, dass er nicht auf sie gehört hat. So kippt die Konzertsituation um in einen erbaulichen Gang durchs Museum. Man betrachtet die Artefakte, teils durchaus mit Verwunderung, und ein kompetenter Führer gibt launige Erläuterungen. Kirnbergers „Acht Fugen“: „Alles ist richtig, hier ist kein Fehler drin…aber…hat Ihnen das gefallen?! Ich sag da mal nichts zu.“
Seine Begeisterung für die Cembalo-Partita des Bach-Schülers Johann Ludwig Krebs dagegen überträgt sich unmittelbar. Fröhlich stellt er dazu dar, was der alte Bach hier womöglich anders gemacht hätte. Krebsens Violinsonate dagegen ist ein kleines Juwel im galanten Stil als hätte es jemand anders komponiert. Hier die barocke Suite in deutlichster Bach-Nachfolge, dort ein duftiges Werk, das sich bemüht, seine Tiefe hinter einer betont leichten Machart zu verbergen.
Waltraud Wächter hat nun bemerkt, wie sich ein jeder über ein paar erklärende Worte gefreut hat und erzählt uns die abenteuerliche Geschichte ihrer Barock-Geige, bevor sie mit einer Solosonate von Johann Sebastian Bach merklich die gemütlichen Grenzen des Sommersaales sprengt. Gerade die Fuge zeigt ihre Meisterschaft, es klingt, als spielte ein ganzes Kammerorchester, jede Stimme ist einzeln hörbar, alles strahlt und es ist, als öffne sich der gemalte Himmel des Sommersaals direkt ins Weltall.
Zu guter Letzt noch eine Duosonate von Bach Vater – souveräne Zugabe zweier Musiker, die die Vielfalt dessen gezeigt haben, was in der Mitte des 18. Jahrhunderts musikalisch möglich war.
Waltraut Wächter: Barockvioline
Christoph Schöner: Cembalo, Orgel
Carl Philipp Emanuel Bach (zugeschrieben): Sonate g-Moll für Violine und Cembalo obligato
Johann Philipp Kirnberger: Aus „Acht Fugen für Orgel oder Cembalo“
Johann Ludwig Krebs: Partita in a für Cembalo solo
Johann Ludwig Krebs: Sonate A-Dur für Flöte oder Violine und obligates Cembalo
Johann Sebastian Bach: Sonate Nr. 1 g-Moll BWV 1001 für Violine solo
Johann Sebastian Bach: Sonate Nr. 6 G-Dur BWV 1019 für Violine und Cembalo obligato
Mittwoch, 22.10.2003, Historischer Sommersaal im Bosehaus
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