Szenische Blicke ins alte Ballhaus der Schaubühne Lindenfels (Johanna Gross)

30. Oktober 2003, Schaubühne Lindenfels

das erbe der vaeter: muetter. Installation von Dorothee Metz / Florian Feisel, Ines Müller- Braunschweig u.a. (altes Ballhaus)
Exit. Eine Hamletfantasie. Figurentheater Wilde & Vogel, Regie: Frank Soehnle (grüner Salon)
Der Erlkönig. Bearbeitet und gespielt von Christoph Bochdansky, gesprochen von Alexander Moissi (altes Ballhaus)


Zukunftsvisionen

Waren Sie schon einmal im alten Ballsaal der Schaubühne Lindenfels? Nein, ich meine nicht den so genannten ?neuen?, den man vom Café Nora Roman aus betritt, sondern wirklich den alten Ballsaal, der von hinten an die Schaubühne Lindenfels angrenzt. Der sollte sich nämlich vergangene Woche für zwei Tage zum Figurentheater öffnen. Doch leider wurde daraus nichts. Aus Sicherheitsgründen gestattete man uns gerade einmal einen kurzen Blick am Ende eines spannenden Abends.

Der begann dennoch im hinteren Ballhaus eine Etage tiefer. Wir traten zögerlich durch eine uralte Tür und tauchten ein in das Halbdunkel einer surrealistisch flirrenden Antiquitätenwelt. Inmitten kantiger Stahlsäulen thronte hoch oben an der Decke ein lebendiger Engel auf einem Eisenbalken, zu seinen Füßen auf ebenem Boden schaukelte ein Puppenkind mit traurigen Kulleraugen in einem Eisenbett. Löcher gestatteten Blicke in die untere Etage, auch dort Puppen mit starrem Blick und ein Mann, der mit sich selbst Walzer tanzte.

Es fiel schwer, sich von den lebendigen Bildern loszureißen, die ebenso gut aus einem Peter-Greenaway-Film hätten stammen können. Aber schon ging es weiter in den grünen Salon, zum zweiten, dem eigentlichen Teil des Abends. Und dort, auf morschem dänischem Bretterboden, begann erst das wahrhaft groteske Schauspiel.

Unter brüchigen Bühnenlatten raffte der Puppenspieler Michael Vogel, der gleichzeitig Hamlet mimte, Stoffetzen und Kleiderbündel hervor, die sich blitzartig in die Protagonisten der Shakespearetragödie verwandelten. Größe, Material und Gestaltungsweise der Puppen waren vollends verschieden und mit jeder einzelnen verband ihn ein ganz eigenes Beziehungsspiel. Gertrude verwandelte sich aus abgewetztem rotem Tuch und ein paar Knochen in eine lebensgroße tiefunglückliche Königin, der machtbesessene Claudius blähte sich aus einer hin und her wieselnden Handpuppe zu einem gespenstigen Stoffriesen auf. Und die zarte Ophelia umschmeichelte Hamlet mit ihrer tödlichen Melancholie.

Das wilde gruslige Spiel der staccatohaft aneinander gereihten dramaturgischen Bilder wurde darüber hinaus durch das rastlose Spiel der Musikerin Charlotte Wilde vorangetrieben. Wie in einem Hörspiel entfaltete sie auf ihren vielfältigen Musikinstrumenten und Tonkörpern eine eigene schauerliche Klangwelt, die die wechselnden Stimmungen des Figurenspiels noch steigerte.

Der dritte Teil des Abends führte uns wieder zurück ins Foyer des alten Ballhauses. Eine kleine Puppentheaterbühne aus dunklem Samt öffnete sich für den Erlkönig. In Kinski-Manier kam die rezitierende Stimme (Alexander Moissi) vom Band. Die fantasievoll gestalteten, aus Kunststoff gegossenen Figuren wurden von Christoph Bochdansky durch Luftzufuhr bezaubernd bizarr belebt.

Wilde & Vogels Anliegen ist es, mit ihrem außergewöhnlichen Figurentheater das baufällige, um 1900 gebaute Ballhaus wiederzubeleben. So bleibt schlussendlich nur zu wünschen übrig, dass ihnen dieser schöne Traum gelingen möge.

(Johanna Gross)

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