01.11.2003, Oper Leipzig:
Figaros Hochzeit (Le Nozze di Figaro) von W. A. Mozart [Premiere]
Opera buffa in vier Akten; Libretto: Lorenzo da Ponte
Musikalische Leitung: Henrik Schaefer
Inszenierung: Guy Joosten
Bühne: Johannes Leiacker
Kostüme: Karin Seydtle
Gewandhausorchester
Figaro ? Tuomas Pursio
Conte d’Almaviva ? Tommi Hakala
Contessa d’Almaviva ? Marika Schönberg
Susanna ? Ainhoa Garmendia
Cherubino ? Anne-Marie Seager
Marcellina ? Annelott Damm
Dottore Bartolo ? Roland Schubert
Antonio ? James Moellenhoff
Barbarina ? Anna Rad-Markowska
Basilio / Don Curzio ? Torsten Süring
Treibhaus-Affekte
Der Leipziger Figaro: Eine Hochzeit mit Hindernissen
Den Äußerungen mancher Künstler kann man eine geradezu prophetische Weitsicht attestieren ? eine Erkenntnis, die sich bei der Premiere von Figaros Hochzeit wieder einmal bestätigte. So benannte nämlich Anne-Marie Seager (auf der Bühne als Cherubino zu Gange) während eines Gesprächs im Rahmen der Opern-Werkstatt am 20. Oktober fast beiläufig und in einem Satz zusammengefasst, was zwölf Tage später am Auffälligsten sein sollte: Vom Direktor der Musikalischen Komödie, Bernhard Helmich, gefragt, wie es ihr denn gelänge, immer an den richtigen Stellen einzusetzen und mit dem Orchester zu harmonieren, antwortete sie lachend: ?Intuition ? das ist Kunst!? Und intuitiv ging es dann streckenweise auch bei der Premiere zu.
Im als gläsernes Treibhaus inszenierten Schloss des Grafen Almaviva geht es hoch her: Die Diener Figaro und Susanna wollen einander heiraten, aber von allen Seiten wird intrigiert, damit es nicht dazu kommt: Der Graf ist selbst in Susanna verliebt und droht für den Fall einer Hochzeit mit dem Wahrnehmen seines Feudalrechts auf die erste Nacht mit der Braut; Marcellina will Figaro heiraten, denn der versprach ihr leichtfertig die Ehe, falls er seine Schulden bei ihr nicht zurückzahlen könne; Dr. Bartolo hat noch eine Rechnung mit Figaro offen, da dieser vor Jahren gemeinsam mit dem Graf die junge Rosina ? inzwischen Gräfin Almaviva ?, in die Bartolo verliebt war, entführte; und schließlich hat Antonio, Susannas Onkel und Gärtner des Grafen, Bedenken, ob Figaro der Richtige für seine Nichte ist. Dazu treiben der ständig und in jede Frau verliebte Cherubino und Basilio, ein Musiklehrer und zudem der einzige Nicht-Verliebte dieser Oper, ihr Unwesen. Irrungen und Wirrungen sind vorprogrammiert ? das Treibhaus soll die ?brodelnden Spannungen? (Figaro-Ankündigung) sichtbar machen.
Interessanter Weise erinnert jedoch das Geschehen auf der Bühne oft mehr an einen Schrebergarten-Verein als an alles andere. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die in da Pontes Libretto durchaus vielschichtig konstruierten, aus Beaumarchais‘ politisch brisanten ?Der tolle Tag oder Die Hochzeit des Figaro? übernommenen Figuren hier in komödiantische Bahnen gelenkt werden, die ihnen nicht immer gerecht werden. So tritt zum Beispiel Marcellina in Hornbrille und einem rosafarbenen Kostüm auf, mit dem ihr der erste Platz bei jedem Chefsekretärinnen-look-a-like-Wettbewerb sicher wäre ? sie kann gar nicht anders als lächerlich wirken. Der Graf, immerhin als treuloser Ehemann und eigennütziger Lehnsherr konzipiert, stolpert, zunächst im Bademantel, von einer Niederlage zur nächsten und wirkt insgesamt zu ungefährlich (als er doch einmal ein Gewehr zur Hand nimmt, tauscht Susanna es von ihm unbemerkt durch einen Staubwedel aus); erfolgreiche Willkürherrschaft traut man diesem Grafen nicht zu. Figaros Dienerstatus wird durch seine eher bürgerliche Kluft und sein Verhalten ? in den Gemächern der Gräfin bedient er sich in ihrem Beisein an ihren Getränken und macht es sich auf dem Sofa bequem ? in Frage gestellt, Cherubino kommt in Cargo-Hosen und Retrohemd daher und die herausragende Handlung des Gärtners Antonio besteht darin, sich mit einem Holzklotz im Arm mühsam durch eine Tür zu quetschen.
Amüsant ist das Ganze, keine Frage, und die schauspielerischen sowie gesanglichen Leistungen der Akteure machen durchaus Spaß: Garmendia meistert die Susanna, eine der längsten Partien der Operngeschichte, mit Bravour, und auch Marika Schönberg wird am Schluss zu Recht mit besonders anhaltendem Applaus bedacht. Das Italienisch der Singenden klingt weitestgehend authentisch, die Rollen werden beherrscht. Aber, und das ist eben doch nicht ausschließlich eine Frage der Intuition, hie und da kommen Einsätze leicht verzögert oder verfrüht, scheinen Ausdruck der Gewandhausorchester-Musik und Gebaren der Sänger nicht zusammen zu passen. Es scheint fast so, als seien die Figuren so mit der Klärung ihrer Beziehungs- und Verwechslungswirren beschäftigt, dass sie darüber ab und zu alles um sich herum vergessen und sich ganz ihren Gefühlen ? und Intuitionen ? hingeben.
Obwohl das Treibhaus sich von Akt zu Akt auf verblüffende Weise verwandelt ? Scheiben werden eingeschlagen, Pflanzen ranken sich durch die Fenster, die Abgeschlossenheit des gräflichen Anwesens von jeglicher Umwelt scheint durchbrochen ? stellt sich doch bis zum Schluss kein bemerkbarer ?Treibhauseffekt? ein. Guy Joosten, der die Figaro-Produktion aus der Antwerpener Vlaame-Opera mitbrachte, setzt als Regisseur auf das spielerische Potential der Mozart-Oper, unterhält das Leipziger Publikum ausgezeichnet und präsentiert eine einfallsreiche Beziehungskomödie mit hervorragend in Szene gesetzten Akteuren. Wem es jedoch um die politischen Spannungen kurz vor der Französischen Revolution geht, um das Verhältnis von Bediensteten zu ihren oft gnadenlosen Adelsherren, der greife lieber zu Beaumarchais.
(Friederike Haupt)
Kommentar hinterlassen