Die befreiende Kraft des Pinselstrichs

Reisebrief: Ausstellung: Die Flämische Landschaft 1520 – 1700, Villa Hügel, Essen

Was muss das für eine Befreiung gewesen sein. Damals. Endlich ausbrechen zu können aus der stupenden Wiederholung der Heiligenbilder. Und sich endlich in das hineinzustürzen, was man mit den eigenen Augen sieht. Dieser ‚wind of change‘ durchweht die Räume der Essener Villa Hügel. Zu sehen sind über 100 der bedeutendsten flämischen Landschaftsgemälde des 16. und 17. Jahrhunderts. Für das Aufblühen der Landschaftsmalerei ist eine Melange von Ursachen verantwortlich. Das Zeitalter der Renaissance, die Entdeckungsreisen, ein erwachendes Gefühl für die Natur und der sich langsam entwickelnde Kunstmarkt gaben wichtige Impulse. So ist die Ausstellung auch mehr als ein bloßes Präsentieren glanzvoller Bilder. Sie gibt den Blick darauf frei, wie sich die Natur das Bewusstsein der Menschen eroberte. Und sei es fern der Natur und ?nur? im Atelier der Künstler.

Landschaftsdarstellungen hatten ihre ersten Auftritte um 1520. Große Namen wie Joachim Patinier, den Dürer einen „gut landschafft mahler“ nannte, und Pieter Brueghel d. Ä. machten Bekanntschaft mit dem neuen Genre. In ihrem Gefolge kamen Henri met de Bles, Jan van Amstel oder Matthy Cock. Brüssel und Antwerpen kristallisierten sich früh als maßgebliche Zentren heraus. Ab 1600 begannen sich die Maler immer mehr auf ganz bestimmte Landschaften (Wälder, Seen, Flüsse, Gebirge, Schiffsunglücke, Paradiesbilder) zu spezialisieren. Ein viel zitierter Ausspruch behauptet von Brueghel, er habe bei seiner Italienreise die Berge verschluckt und sie zu Hause wieder auf die Tafeln ausgespuckt. Brueghels Bilder sind eine einzigartige Verbeugung vor dem Detailreichtum des Beobachteten.

Als Rubens 1608 aus Italien zurückkehrt, ist das Anfang für etwas ganz Neues. Er malt die barocke Landschaft und gibt der Schilderung von Stimmungen und Atmosphäre den Vorzug. Und wie bei Brueghel, so entfaltet sich auch bei Rubens die Landschaft in ihrer ganzen Größe und Pracht.

Gleich zu Beginn der Ausstellung zieht Joachim Patinier (1475/1480 – 1524) den Besucher in seinen Bann. Da sind beispielsweise seine ‚Landschaft mit der Flucht nach Ägypten‘ und die ‚Die Marter der Hl. Katharina‘. Patinier arbeitete mit einer Komposition, die für spätere Kollegen zum Vorbild wurde. Mit einem braunen Vordergrund, einer grünen Mitte und der sehnsuchtsvollen blauen Ferne. Zwischen all‘ dies stellte er seine religiösen Motive, die an den Rand gedrängt scheinen. Da wölben sich die Felsklippen über die flüchtende Maria, wird das Folterinstrument im Schatten des Felsens aufgerichtet. Hier rückt die Landschaft zum ersten Mal in den Vordergrund, erhebt sie sich über das religiöse Motiv. Patinier malte Weltenlandschaften.

Eines der aufregendsten Exponate ist Josse de Mompers ‚Seesturm‘. Da türmen sich haushohe Wellen auf, schnappt ein Seeungeheuer nach einem nussschalengroßen Schiff. Wolken rasen durchs Bild und am linken oberen Bildrand scheint eine kleine Kirche auf dem Wellenkamm zu tänzeln. Die grüne aufgeschäumte See öffnet sich wie ein Höllenschlund. Da ist es nur ein Detail, dass der Wind von rechts kommt und die Wellen nach links schlagen lässt. Fast möchte man den Kragenmantel hochschlagen bei diesem ‚Seesturm‘, der das erste Seebild der Kunstgeschichte genannt wird. Auf jeden Fall kam es dem Maler weniger auf die richtige Wiedergabe der Details an, als vielmehr auf die dramatische Komposition des Gesamteindrucks. Aber der Sturm lässt nach.

Und bei Jan Brueghels d. Ä. ‚Flusslandschaft mit Anlegestelle‘ und ‚Landschaft mit Dorfschänke‘ ist davon nur noch ein Windhauch übrig. Dafür rückt das Farbspiel der Sonnenstrahlen in den Vordergrund. Das Wasser an der Anlegestelle erstrahlt in einem Gelb, als ob jemand von unten mit einer Taschenlampe leuchtet. Doch hoch droben dräut schon ein Gewitter. Und vor der Dorfschänke wird es schummrig. Seine Bilder sind in einem erdigen und dunklen Ton gemalt.

Zum Schluss Peter Paul Rubens. An seinem ‚Teich im Walde‘ herrscht Eintracht. Eine Kuh reibt sich an einem Baum, zwei Mägde schöpfen Wasser. Der ‚Schlosspark‘ ist Heimstatt allerlei neckischen Treibens. Da schiebt ein gar nicht galanter Edelmann einer Dame ein Stück Stroh unter den Rock, kommt ein Pärchen den Weg vom Schloss entlang, jagt ein junger Mann seinem Glück in Gestalt zweier junger Frauen nach. Fröhlicher Müßiggang und der Sturm ist ganz weit weg.

Ausstellung: Die Flämische Landschaft 1520 – 1700

bis 30. November, Villa Hügel, Essen

Katalog 30 Euro


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