Lesung von Max Goldt (Friederike Haupt)

10. 11. 2003, Schaubühne Lindenfels
Lesung von/mit Max Goldt

Des Onkels Informationen für Erwachsene
Max Goldt ist nicht witzig ? dafür danke man ihm sehr

Schon mal darüber nachgedacht, wie viel von dem, was in diversen Kolumnen als Erlebtes des Autors ausgegeben wird, diesem auch wirklich widerfahren ist? Die Fans von Max Goldt, einst Kolumnist beim Satire-Magazin Titanic und heute Musiker, Comictexter und Autor, scheint diese Frage jedenfalls sehr zu beschäftigen; Goldt: ?Immer wieder werde ich bei spoken word performences von jugendlichen Show-Besuchern gefragt, wie viel denn in meinen Texten ?echt? sei. Mit Echtheit meinen die Fragesteller, ob das Aufgeschriebene das reale Leben des Erzählers wiedergebe. Dies als Information für Erwachsene. Zu den neugierigen Heranwachsenden sage ich immer: ?Ach, Kinders. So was fragt man doch nicht. Wir sind hier doch nicht in Fragistan.?

Nun, worum geht es überhaupt in den Texten von ?Onkel Max? (so auch der Name seiner Titanic-Kolumne)? Skurrile Alltagsbeobachtungen, möchte man da schnell antworten, doch halt! ?Fuck Alltagsbeobachtungen?, schreibt Goldt im Vorwort seiner Textsammlung ?Die Kugeln in unseren Köpfen?, und so fällt es recht schwer, eine Überschrift zu finden für Werke wie ?Quiek! (Ein asiatisches Kollektivschicksal)? oder ?Dank Bügelhilfe fühlt man sich wie ein geisteskranker König?. Auch zu seiner Lesung in der Leipziger Schaubühne Lindenfels hat der Wahlberliner sehr Unterschiedliches mitgebracht ? Material aus den 80ern genauso wie erst vor zwei Wochen geschriebene Dialoge.

Den Auftakt macht das Zwiegespräch ?Hugo?, in dem eine Frau den Satz ?Bricht der Zweig, auf dem er sitzt, vergisst der Vogel, dass er fliegen kann? als offizielles Sprichwort anerkennen lassen will, während ihr Gesprächspartner eher dazu tendiert, die von ihm ersonnene Redewendung ?Der Kiff killt den Keif? zu etablieren. Goldts Stimme, je nach imitiertem Charakter mal penetrant fistelnd, mal sympathisch brummend, verleiht dem Ganzen noch zusätzlich Komik. Ähnlich geht es dann auch weiter: Von der Frage, ob Socken zur Unterwäsche gehören oder eine eigene Kleidungsgattung darstellen über die ?Krönung postbürgerlicher Bildung? und Ärgernisse auf der EXPO (24 Mark für einen Pappteller mit kalten Nudeln) bis zur Klassifizierung von ?Unterschicht-Indikatoren? und ?Gymnasiastenmusik? bleibt nichts unangesprochen, sehr zur Freude des zahlreich erschienenen Publikums.

Goldt, dem in regelmäßigen Abständen vorgeworfen wird, er kratze lediglich an der Oberfläche aller möglichen Gesellschaftserscheinungen, anstatt sich mit ihnen auseinander zu setzen, beweist hier durch sein nahezu unheimliches Gefühl für originelle sprachliche Zuspitzungen und die Gabe, Beobachtungen so zu formulieren, dass man sich als Leser resp. Hörer auf eine Art verstanden fühlt, die man sonst nie als Resultat der Lektüre satirischer Texte erwartet hätte, das Gegenteil. Beispielsweise wird die übertriebene political correctness, die zur Einführung des Wortes ?Studierende? führte, entlarvt, indem Goldt richtig bemerkt, dass im Falle eines Massakers an einer Uni der Ausdruck ?sterbende Studierende? wohl kaum passend wäre; auch birgt die Liste der vom Autor gehassten Wörter (?Ficken will ich nicht mehr hören, das ist so zwischen Theaterschockertum und Schülerjargon angesiedelt?) einige bemerkenswerte Beobachtungen (?Witzig ist auch so’n Wort: Witzige T-Shirts werden in witzigen Boutiquen in witzigen Seitenstraßen gekauft, dabei sind die gar nicht lustig?), die einen auch über den eigenen Umgang mit der Sprache nachdenken lassen ? was laut Max Goldt in einer Zeit, in der bei vielen die meisten Sätze mit ?Ich denk mal…? anfangen, nicht das Schlechteste ist.

Gewiss werden auch Banalitäten thematisiert und genüsslich vor dem geneigten Rezipienten ausgebreitet; wenn aber die Velvet Underground-Drummerin Maureen Tucker als ?in Punkto Lebensenergie erloschen wirkende Perkussionistin? oder eine Badezimmermatte als ?resttropfengetränkte Klofußumpuschelung? bezeichnet werden, sollte man ? Geschmack hin oder her ? eingestehen, dass Goldt den Großen der ?Neuen Frankfurter Schule? wie F. K. Waechter oder Robert Gernhardt in nichts nachsteht.

120 Minuten volles Programm und eine Erkenntnis des Autors, die, obwohl in einer Kolumne geäußert, sicher wahr ist: ?Ich kann nicht anders, ich kann nichts anderes.? Den Leser freut’s.

(Friederike Haupt)

www.maxgoldt.de

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