Georg-Büchner-Preisträger Alexander Kluge zu Gast in Leipzig (Max Bornefeld-Ettmann)

18.11.03 19:30 Uhr, Leipziger Stadtbibliothek
Georg-Büchner-Preisträger Alexander Kluge zu Gast in Leipzig

?Die Lücke, die der Teufel läßt?

Lesung:[Prof. Dr.] Alexander Kluge

Begrüßung: Dr. Georg Girardet, Beigeordneter für Kultur der Stadt Leipzig; Grußworte: Prof. Dr. Klaus Reichert, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt, Günter Berg, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M.


?Ich möchte zur Veranstaltung mit Alexander Kluge.? ? ?Wer ist denn das??

Alexander Kluge ist der große Unbekannte. Jeder kennt seine Stimme, niemand seinen Namen, keiner sein Gesicht. Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls, wenn man sich umhört. Es kommt der Tag, an dem man mit Alexander Kluge Bekanntschaft schließt. Vielleicht ist es eine der ungewöhnlichen, absurden Fragen, die das Interesse am Interviewer erwachen läßt, der sonst immer nur neben der Kamera, also außerhalb des Sichtfeldes des TV-Zuschauers zu verorten ist und den wie einen Geist nur der Interviewte sehen kann: ?Wie würde ein Außerirdischer das beurteilen?? Das ist eine gute Frage. Die Antworten der Literaten, Politiker, Wissenschaftler, Juristen usw. bieten nur den Boden für erneute Fragen, deren Ernsthaftigkeit man nicht in Abrede stellen kann. Die Konfrontation nicht zusammengehörender Zusammenhänge ? das ist eine Spezialität von Alexander Kluge. Gut, daß nicht auch noch die Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigkeiten zum Thema wird ? da hilft nur noch das Umschalten.

?Alle hätten tot sein können. Jetzt waren sie wütend.?

Wie konnte ein junger Mann mit abgeschlossenem Jurastudium auf die Idee kommen, ausgerechnet er hätte der deutschsprachigen Literatur noch Entscheidendes hinzuzufügen? Liest man seine Texte, weiß man es. Prof. Dr. Reichert ? von Kluge nur als ?Herr Präsident? angesprochen ? nannte es in seinem Grußwort einen bis dahin [1962] nicht gehörten Ton, der objektivistisch, nüchtern, fast kalt sei. Bei Kluge halten verschiedene Sprachen niederer Emotionalität Einzug, offizielle Kriegstagebücher ebenso wie Befragungen, Interviews und Verhöre. Dokumentarisches steht neben Fiktionalem und oft ist nicht ganz klar, was nun was ist. Wenn die Geschichten unglaubwürdig klingen, sind sie meistens dokumentarisch. Sagt Kluge über Kluge. Reichert und Kluge lesen abwechselnd aus ?Die Lücke, die der Teufel läßt? sowie der ?Chronik der Gefühle?. Nach wenigen Worten befinden sie sich vorlesend oder diskutierend in gegenseitiger Ergänzung, Herausforderung, Bestätigung, im Widerspruch.

An welcher Stelle fängt man am besten an,
sich das literarische Werk von Alexander Kluge zu erschließen?

Manche Geschichten von Alexander Kluge haben keinen richtigen Anfang und kein richtiges Ende, manchmal liegt das Ende am Anfang. Der Sinn ist nicht eindeutig zu erschließen und manchmal auch schlecht zu diskutieren. Die richtige Stelle im Werk ist demnach die, die man in den Händen hält, die Seite, die man gerade aufgeschlagen hat, die Überschrift, die einem ins Auge springt oder einfach, was man zu fassen kriegt. Wo man anfängt, ist nicht wichtig.

Ein Antlitz nicht aus unserer Zeit

Es ist nicht das Gesicht von Alexander Kluge, sein Antlitz ist ein Anachronismus. Er glaubt daran, daß jeder Mensch, der will, mehr aus sich machen kann. Er glaubt daran, daß der Einzelne den Unterschied macht. Er sieht im angeborenen ?Urvertrauen? den Beweis einer Ausrichtung auf das Gemeinwesen. Er glaubt an die Aufklärung. Ist er der Einzige, der noch an das mündige Individuum glaubt? Manchmal hat es den Anschein.

(Max Bornefeld-Ettmann)

http://www.kluge-alexander.de/
http://www.dctp.de/

PS: Ein Name, den Sie sich merken sollten, lautet: Peter Berling.

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