Magyarisches Gewichtheben

Das Grosse Concert mit ungarischer Musik von Liszt bis Eötvös

Das passiert nicht alle Tage: Peter Eötvös tritt mit dem Gewandhausorchester auf und gestaltet einen ganzen Konzertabend mit ungarischer Musik von Liszt bis Eötvös, via Bartók und Ligeti. Im Programm dann gleich vier Schwergewichte – Bartóks „Wunderbarer Mandarin“, Liszts erster „Mephisto-Walzer“, Ligetis „Lontano“ und schließlich noch Eötvös‘ „Replica“ für Viola und Orchester. Das hat es in sich!

Das passiert auch nicht alle Tage: Hals über Kopf lässt der Orchestervorstand, zum Bedauern des Dirigenten, ein paar Stunden vor Beginn verlauten, die Generalprobe als geschlossene Gesellschaft abhalten zu lassen. Zuhören ist nicht! Muffensausen?

Schön, dass man in einem Jahr gleich zwei der großen Orchesterwerke György Ligetis in Leipzig hören konnte (Jonathan Nott brillierte vor einigen Monaten mit „Atmosphéres“). „Lontano“, Fortführung und Antithese, ist eigentlich ein Paradestück für jedes Orchester. Es strahlt und leuchtet, Fenster öffnen sich in unbekannte Räume, bald meint man, vier Orchester in unterschiedlichen Entfernungen gleichzeitig zu hören…selten sind Möglichkeiten von Instrumenten und dem umgebenden Raum derart frappierend ausgenutzt worden. Auch Eötvös‘ „Replica“ beeindruckt durch einen feinen Sinn für ungehörte Klänge. Glocken, Perkussion, Streicher und Bläser evozieren ein Klangbild zwischen Zartheit und Monumentalität – und dazwischen die Viola von Geneviéve Strosser, die leider zu oft tief unten im Tongemisch begraben wird. Liszts donnernder Mephisto-Walzer für größt-besetztes Orchester siegt allein schon durch seinen bis ans Äußerste aufgedrehten Lautstärkepegel (und erntet freilich auch den größten Applaus). Bartoks schauriges Großstadtmärchen vom ?Wunderbaren Mandarin? schließlich klingt nach achtzig Jahren immer noch erschütternd neu.

Schade nur, dass sich Konzentration und Engagement beim Orchester diesmal in deutlich zu ahnenden Grenzen halten. Mit halber Kraft voraus lässt sich ein solches Programm nun einmal nicht bewerkstelligen. Hier und da reißt Ligetis orchestrales Spinnengewebe, es wird vergessen, dass auch Bartóks infernalisches Getöse differenziert instrumentiert ist, und auch der weiß Gott nicht virtuose Chorpart des „Mandarin“ gerät karg und dröge. Rache am Dirigenten und seinem Programm, das den Instrumentalisten durchaus etwas zumutet? Erklärt dies die lauwarme Aufnahme? Einen Skandal wie bei der Uraufführung von 1926 kann man in diesen abgehärteten Zeiten nicht mehr erwarten. Ob ein zünftiger Tumult jedoch schlimmer gewesen wäre als die ausgesprochen durchdringend vernehmbaren Äußerungen von Röcheln und Husten?

György Ligeti: Lontano
Peter Eötvös: Replica für Viola und Orchester
Franz Liszt: Mephisto-Walzer Nr. 1
Béla Bartók: Der wunderbare Mandarin

Gewandhausorchester
Peter Eötvös, Leitung
Geneviéve Strosser, Viola

21. November 2003, Gewandhaus, Großer Saal

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