Mitglieder des Leipziger Gewandhausorchesters spielen die Messe von Martin und das Requiem von Faure
Frank Martins doppelchörige Messe ist fast schon ein Standardstück für semiprofessionelle Chöre geworden und manch ein frohgemuter Sangeszirkel ist an ihren rhythmischen und harmonischen Klippen gescheitert. Wie immer bei Martin klingt diese Musik eigentlich wie nichts anderes. Musikhistorische Bezüge schimmern immer wieder durch, um sofort hinter dem unverkennbaren Personalstil des eidgenössischen Komponisten zu verschwinden. Wie der bekennende Antidogmatiker Martin die klanglichen Möglichkeiten der gegeneinander antretenden Chöre ausnutzt, das gehört zu den Höhepunkten der geistlichen Musik des 20. Jahrhunderts. Gotthold Schwarz gestaltete das Werk so, wie es sein soll: die Konfliktrhythmen kraftvoll-federnd, die dynamischen Extreme deutlich hervorgekehrt. Nicht zu überhören war allerdings die eine oder andere etwas verschrumpelte Stimme im Sopran, die dann gleich auch durch besondere Lautstärke hervortrat, sowie die überaus merkwürdige Aussprache des lateinischen Messtextes.
Ein ausgesprochen unerfreuliches Intermezzo waren dagegen die zwölf Improvisationen für Trompete und Orgel über verschiedene Choräle von Jean Langlais. Der ist hauptsächlich für seine „Gotische Suite“ bekannt, freundlich-bombastisches Georgel für Organisten, die sich mit ein bisschen „Modernität“ schmücken wollen. Heute aber gibt es eine Rarität. Die Trompete bläst den Choral, darunter ergießt sich aus den Orgelpfeifen ein unerträglich kitschiger Musikschleim und verklebt die Choralmelodie mit allerlei manierierten Harmonien und dezenten Dissonanzen, deren Wirkung sich mit einem Löffel Leberwurst in der Mousse au Chocolat vergleichen lässt. Das alles wird immerhin mit bemerkenswert schönem Ton vorgetragen. Mussten es wirklich gleich alle Stücke sein? Hätte nicht vielleicht…? Aber nein: es wird geblasen und gepfoffen und auch mein Nachbar zählt geduldig bis zwölf.
Gabriel Faurés Requiem ist eine musikalische Sahneschnitte, der manch einer vorwerfen mag, bisweilen etwas tief in die Sentimentalität abzutauchen. Es ist dazu nicht allzu schwer zu singen, zudem noch mit eher bescheidenem instrumentalen Aufwand zu realisieren, so dass sich manch einer herantraut, der es besser gelassen hätte. Der etwas kühle Chorklang des Concerto Vocale und die perfekte Abfederung durch ein etwa zwanzigköpfiges Kammerorchester treiben dem Werk die Schnulzenhaftigkeit gründlich aus und lassen umso erfreulicher die wahre Natur dieser ungewöhnlichen Totenmesse hervortreten. Diese Musik führt einem nicht noch einmal mit allerlei dramatischem Zauberwerk die Schrecklichkeit und Traurigkeit des Todes vor Augen, sondern wendet sich an die Hinterbliebenen, will in ihrer einfachen Entrücktheit einfach nur trösten. Die Streicher neutralisieren die eine oder andere stimmliche Schwäche, die Harfe klingt, wie von einem Engel persönlich gespielt, die Solisten sind blendend aufgelegt.
Doch auch hier schmerzte die deutsche Siebziger-Jahre-Schulbuch-Aussprache des lateinischen Textes. Hatte es sich im Chorvorstand wirklich nicht herumgesprochen, dass Gabriel Fauré dezidiert dem romanischen Kulturkreis entstammt? Das ewige Licht „lutzehat“; Herr, gib uns „pahtzem“ – au weh; Fauré hätte sich der stattliche Schnauzer gesträubt. Vielleicht eine aufführungspraktische Kuriosität, die man gottlob nicht mehr allzuoft bestaunen kann, wie sehr auch manch ein angestaubter Pedant routieren möge. Doch jeglicher Beckmesserinstinkt vergeht einem beim überirdisch schön interpretierten Schlusssatz „In Paradiso“. In Paradiso ist dieser vermutlich auch geschrieben worden und es wäre verwunderlich, würde sich Fauré dort nicht an seine Wolke gelehnt und froh gelächelt haben.
Concerto Vocale
Mitglieder des Leipziger Gewandhausorchesters
Gotthold Schwarz, Leitung
Friederike Holzhausen, Sopran
Matthias Weichert, Baß
Michael Schönheit, Orgel
Frank Martin: Messe
Jean Langlais: 12 Improvisationen über verschiedene Choräle
Gabriel Fauré: Requiem‘
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