Verzerrte Wahrheiten

„Die Glatzkopfbande“: DDR-Propaganda in der Reihe „Spurensuche Filmgeschichte“

Seit knapp fünf Jahre kooperieren die Schaubühne Lindenfels und das Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig erfolgreich in der Reihe „Spurensuche Filmgeschichte“. Jeweils verbunden mit einer Einführung durch einen Studierenden eröffnet die Reihe neue Einblicke in selten gezeigte Filme. Unter dem Thema dieses Semesters, „Gangster & Co. – Verbrecher im Film“, stand nun ein Film auf dem Programm, dessen Wiederaufführung allein wegen seiner Beliebtheit in der DDR lohnenswert gewesen wäre. Da sich aber nach vierzig Jahren seit der Uraufführung und vierzehn Jahren seit dem Mauerfall noch immer die Lügenpropaganda aufrecht erhält, der Film basiere auf einem authentischen Vorfall, tat die Kooperation „Spurensuche Filmgeschichte“ gut daran, mit einer Einführung die Hintergründe neu zu durchleuchten.

Die Geschichte ist zunächst einmal ein klarer Kriminalfall. Sie spielt sich wenige Tage nach dem Mauerbau im Jahr 1961 ab. Auf einer Baustelle stürzt ein Neubau zusammen, zwei Menschen kommen dadurch ums Leben. Leutnant Czernik stellt fest, dass „Schluderarbeit“ die Ursache ist. Die Schuldigen aber sind schwer aufzufinden, einer von ihnen ist Gastarbeiter aus Westberlin. Diesen nennen seine Freunde King. Er ist Anführer einer Gruppe junger Männer, die am Ostseestrand wochenlang ihr Unwesen treiben und sich auf Kosten anderer amüsieren. Nach dem Vorbild des in der DDR als dekadent geltenden Westernhelden Yul Brunner lassen sie sich Glatzen scheren und tyrannisieren die Gäste des Zeltplatzes. Im Bierzelt tanzen sie nach Rock ’n‘ Roll und singen Westschlager. Wegen geklauter Reifenventile wird die Polizei eingeschaltet, die Situation eskaliert, es kommt zu Randalen. Während die „Glatzkopfbande“ in den darauf folgenden Tagen immer brutaler vorgeht und auch vor schweren Körperverletzungen nicht scheut, kommen ihr Leutnant Czernik und sein Schäferhund auf die Schliche. King plant, über die Grenzanlagen zu fliehen. Aber die Staatsmacht kommt ihnen zuvor und bringt sie zur Strecke.

Als Die Glatzkopfbande im Februar 1963 in die Kinos kam, unterstützte der Riesen-Reklamerummel die Evokation, dass der Film auf wahren Begebenheiten basiere. Daran ließ auch das Februarheft des „Filmspiegels“ keinen Zweifel, als zusammen mit dem Artikel zum Film ein Foto vom realen Strafprozess abgedruckt wurde, ganz als ob Film und Realität völlig identisch seien. Der reale Vorfall, auf den sich der Film beruft, sah jedoch gänzlich anders aus. Tatsächlich hat es im Sommer 1961 auf der Insel Usedom eine Gruppe von Jungs gegeben, die aus dem Umkreis von Berlin stammen und sich während ihres Urlaubs aus Jux, aber ohne tiefere Absicht, Glatzen rasierten. In einem Bierzelt lernten sie andere kennen, darunter einen Studenten der Freien Universität Westberlin. Das Bierzelt schloss bereits früh und war total überfüllt, genauso wie der nahe gelegene Zeltplatz, so kam es abends ständig zu kleineren Randalen. An einem der Abende wurde ein Junge festgenommen, was einen Massenauflauf an der Polizeiwache verursachte ? die einzig authentische Szene, die im Film aber wiederum anders endet. Keiner der Jugendlichen schlug auf Personen ein. Weder hat es also eine organisierte „Bande“ von Glatzköpfigen gegeben, noch terrorisierte sie wochenlang Zeltplätze in der DDR, wie es im „Filmspiegel“ heißt. „Die Glatzkopfbande“, wie sie im Film dargestellt wird, ist also bis auf wenige Ausnahmen eine durchweg konstruierte Geschichte.

Umso mehr interessieren die Intentionen der verantwortlichen DEFA-Autoren Carl Andriessen, Lothar Creutz und von Richard Groschopp, des Regisseurs. Bei der Recherche nach Stoff für einen neuen Krimi, waren die Autoren in der Presse auf den Fall in Usedom gestoßen. Ein darauf folgendes Gespräch mit der Presseabteilung des Ministeriums des Inneren ergab, dass die Parteiführung besonderes Interesse an dem Film hätte, sofern er jene derzeit größten Sorgen der Kriminalpolizei aufgreifen würde wie die Jugendkriminalität, namentlich das „Rowdytum“, und ferner Delikte in der Landwirtschaft und in der Bauindustrie. Im Gegenzug konnte den Autoren weitgehender Einblick in die Akten gewährleistet werden. Offensichtlich wird dadurch, dass die Verantwortlichen für den Film sehr wohl über die wahren Begebenheiten informiert waren, sich jedoch bewusst für die Interessen der Parteiführung instrumentalisieren ließen. Welche Interessen diese Ende des Jahres 1961 gehabt hatte, ist unschwer nachzuvollziehen. Der im selben Jahr vollzogene Berliner Mauerbau musste nachträglich Zustimmung in der Bevölkerung gewinnen. Massenmedien wie der Film schienen durch ihre gleichzeitige Unterhaltungsfunktion ein tragendes Propagandainstrument zu sein, das politische Botschaften quasi nebenbei und unbewusst entfaltet. Die geschickte Vermengung von Fiktion und Realität durch Die Glatzkopfbande ist also ein Produkt der Lügenpropaganda.

Welche brutalen Konsequenzen dies bereits direkt zur Folge hatte, zeigt der Ausgang der wahren Geschichte in Usedom. Im Sommer 1961 wurden 11 Beschuldigte im Zusammenhang mit einer „Glatzkopfbande“ zu insgesamt 27 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Nach ihrer Haftentlassung waren sie weiterhin erheblichen Einschränkungen ausgesetzt wie Studierverbot etc. Einem Richter wurde wegen zu milder Haftstrafen in einigen der Fälle die Zulassung entzogen. Und in einem gänzlich anderen Fall wurden im selben Jahr zwei Junge Christen zu je acht Jahren Zuchthaus verurteilt, weil sie sich auf einer Schiffahrt den Spaß machten, dem Kapitän einen frechen Brief zu schreiben, wodurch der Verängstigte eine Parallele zu der „Glatzkopfbande“ zog. Charakteristisch für die Zeit nach dem 13. August 1961 ist sowohl die drastische Erhöhung des Strafmaßes für Staatsverbrechen, als auch eine deutliche Zunahme der Anzahl der Verurteilungen. Waren im ersten Halbjahr 1961 nur 4.442 Personen abgeurteilt, erhöhte sich die Zahl im zweiten auf mehr als 18.000 (vgl. Inge Bennewitz: Die Glatzkopfbande – ein DEFA-Spielfilm und seine Hintergründe, 2001).

Die Rezeptionsgeschichte des Films gleicht dazu einer Groteske. Die Glatzkopfbande brachte es in fünf Jahren Laufzeit auf die kleine Rekordzahl von 2,2 Mio. Zuschauern. Die Sympathie für den Film gründete dabei allerdings weniger auf dem Informationsgehalt der Bedrohung durch den Westen und der Einsicht in die Notwendigkeit des Mauerbaus, als auf seinem gegenteilig wirkenden Unterhaltungscharakter. Entgegen aller Absicht sympathisierten viele Zuschauer mit den Glatzköpfigen selbst, ihrer Aufmüpfigkeit und dem Rock ’n‘ Roll, und manchen dienten sie sogar als Vorbilder. Der Film war eine willkommene Abwechslung im biederen Mainstream des Kinos jener Jahre. Wie dieses suggerierte Spießertum ausgesehen haben mag, lässt sich bereits innerhalb des Films an den Gegenspielern der „Glatzkopfbande“ erahnen. Diese wirken gerade aus heutiger Sicht lächerlich altbacken und pedantisch, so beispielsweise die verdutzten erwachsenen (!) Badegäste, denen die Jungs der „Bande“ ihre Sandburgen kaputt treten. Die ungewollte Komik gipfelt in der parallelen Liebesgeschichte zwischen dem Leutnant und der Nachbarstochter, die ihr Lebensglück zwischen Rauchfleischeintopf, Gartenzaun und Schäferhundgebell finden. Überhaupt scheint sich der Film ganz nebenbei als eine Art Lessie-Adaption zu verstehen, obgleich Sinn und Erfolg dieses Vorhabens neben den durchaus spannungsreichen Momenten mit der „Glatzkopfbande“ verblassen. Zumindest ist nun einwandfrei geklärt, welchen Mensch und Habitus sich „die Partei“ für das Wohl der DDR erwünschte.

Die Glatzkopfbande

DDR, 1963, 78 min, s/w, Regie: Richard Groschopp, Drehbuch: Lothar Kreutz, Richard Groschopp, Kamera: Siegfried Hönicke, Musik: Helmut Nier, Darsteller: Ulrich Thein, Erik S. Klein, Paul Berndt

26. November 2003, Schaubühne Lindenfels


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