Rock\’n\’Roll is here to stay

Man muss dabei gewesen sein: Die Band The Strokes sind mit special guest Har Mar Superstar in der Treptow Arena Berlin

Eine Stunde mit den Strokes entschädigt für fast alles
Um es gleich vorwegzunehmen: Bei vermutlich jeder anderen Band wäre ein Konzert unter derartigen Rahmenbedingungen zur Katastrophe geworden. Die Fans wären wütend nach Hause gegangen, hätten aus Protest ihre Plattensammlungen umsortiert, die CDs der enttäuschenden Band ganz, ganz unten in einen Pappkarton gesteckt, und natürlich käme ein Konzertbesuch bei der nächsten Tour niemals in Frage. Nun haben aber die Strokes gespielt, und den Strokes, das muss man einfach mal so sagen, verzeiht man – fast – alles. Und das ist auch gut so; Gründe zum Aufregen gab es an diesem 14. Dezember jedenfalls zur Genüge:

Ein eisiger Wind pfeift um die direkt an der Spree gelegene Arena Treptow, von außen einem Flugzeughangar nicht unähnlich. Davor versammelt: Zahllose Musikliebende, die zum einzigen Deutschland-Konzert der Room on fire?Tour der Strokes nach Berlin gekommen sind; aus der Schweiz ist man angereist, aus England auch – man kann sich freuen, von Leipzig keinen allzu weiten Weg gehabt zu haben. Nach schier endloser Warterei in der Kälte wird endlich die Halle geöffnet, alles strömt hinein, drinnen darf weiter herumgestanden werden. 20 Uhr, eigentlich sollte das Konzert jetzt beginnen: Die Bühne bleibt leer. 21 Uhr: Nichts. Gegen 21:15 Uhr dann tut sich etwas: Begleitet von hübschen Lichteffekten und fulminanter Synthi-Musik tritt ein untersetztes Kerlchen in gelblich schimmernder Robe vor’s Publikum; allgemeines Staunen, wer mag das sein? „My name is Har Mar Superstar, and I’m the fucking best!“, ruft er aus, und man denkt: Aha.

Es ist ja keine Seltenheit, dass Vorbands nicht wirklich den Geschmack des nach dem Hauptact verlangenden Publikums treffen, aber das ist nun wirklich eine Zumutung. Nicht nur, dass die Musik, die der „Superstar“ (in Deutschland hauptsächlich durch Handy-Klingeltöne „bekannt“) zum Besten gibt, nach einigen passablen Tönen ins Gequietsche abdriftet; nein, das wirklich Erschreckende ist die Show, die dabei abgezogen wird: Wüsste man nicht genau, dass Har Mar Superstar freiwillig und für wohl nicht wenig Geld agiert, müsste man unter Berufung auf die Unantastbarkeit der Menschenwürde seinen Auftritt abbrechen. Der Mann, optisch eine Art Guildo-Horn-Verschnitt, hält es allen Ernstes für eine gute Idee, sich nach jedem Lied eines Kleidungsstücks zu entledigen, bis er zum Schluss schwitzend im Slip dasteht und fragt:

„Can you see my amazing body?“ Amazing, naja. Der Schmerbauch bebt, die halblangen Haare wehen um den Glatzenansatz und man muss sich fragen, ob diese Performance ernst gemeint ist oder ob einfach jemand nicht mitgekriegt hat, wann es zu spät ist für bestimmte Präsentationen. Während bei den Zuschauern die anfängliche Belustigung in Fassungslosigkeit umschlägt (man bedenke, dass in anderen Ländern zum Beispiel die fabelhaften Kings of Leon als Strokes-Support auftraten), geht das Gepose weiter, bis das Ganze nach ca. einer halben Stunde sein gnädiges Ende hat: Har Mar Superstar, der im Vorprogramm von Marilyn Manson oder auch im Ruhestand besser aufgehoben wäre, entschwindet.

Weitere 45 Minuten werden gewartet, dann geben sie sich endlich die Ehre, die Retter des Abends, die Helden des Retro-Rock, the next big thing aus New York: The Strokes. Room on fire heißt ihr neues, zweites Album (mit dem Debut Is this it? begann 2001 der groß angelegte und internationale Hype), und es ist nicht hinter den Erwartungen zurückgeblieben, im Gegenteil: Elf geniale, kurze, melodiöse Rocksongs, geprägt durch die Nöl- und Jammerstimme des Sängers Julian Casablancas, und wieder schöne Gitarrenpassagen, mitreißende Schlagzeugsoli und charmante Basspartien. Nichts Unerwartetes, muss man zugeben, aber dennoch ein Meisterwerk der besten aller neuen „The“-Bands, die auch live beweist, dass sie jeden einzelnen der zahllosen Artikel, die über sie erschienen sind, wert ist. Laut und ungeschliffen kommt die Musik daher, abgesehen von den manchmal leicht übersteuerten Gitarren genau wie auf dem Album, und im Publikum gibt es kein Halten mehr.

Während direkt vor der Bühne gepogt wird, als gäbe es kein Morgen, handelt man sich selbst in sicherer Entfernung noch ab und zu Kopfnüsse durch begeistert herumspringende und „klatschende Strokes-Fans ein. Durch die Kürze der Songs, die Intensität der Melodien, die absolute Präsenz der fünf Musiker bleibt keine Zeit zum Ausruhen, und so wechseln sich Stücke vom ersten und zweiten Album in elektrisierender Art und Weise ab, begleitet von einer beeindruckenden Lichtshow, die die riesige Halle abwechselnd in rotes, grünes, blaues, weißes und gelbes flackerndes und blitzendes Licht taucht. Nach einer Stunde und dem Schlussakkord von Take it or leave it verlassen die Strokes unter tosendem Applaus die Bühne, das Licht geht an, Zugaben gibt es keine. Das ist nun zwar schade, aber hey: Die Strokes haben es geschafft, sie sind kuhl und man liebt sie trotzdem. Qualität statt Quantität, tröstet man sich, besser eine Stunde feinster Rock als zwei Stunden mittelmäßige Unterhaltung oder – noch schlimmer – Har Mar Superstar. Glücklich sein kann man trotz der Ärgernisse, dabeigewesen zu sein beim Berlin-Konzert der Strokes.

The Strokes mit special guest Har Mar Superstar

Aktuelles Album: Room on fire, erschienen am 20.10.2003 bei BMG Music

Homepage:

http://www.thestrokes.com

14.12.2003, Treptow Arena Berlin

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