Robert Bentons brave Filmadaption von Roths „Der Menschliche Makel” (Roland Leithäuser)

Der menschliche Makel
(The Human Stain)
USA 2003
Regie: Robert Benton
Drehbuch: Nicholas Meyer nach einem Roman von Philip Roth
Kamera: Jean Yves-Escoffier
Darsteller : Anthony Hopkins, Nicole Kidman, Ed Harris, Gary Sinise u.a.
108 Min.

Bilder: Verleih
Eulen nach Athena tragen
Robert Bentons brave Filmadaption von Roths „Der Menschliche Makel“

Es läßt sich trefflich streiten über die Qualität zeitgenössischer Literaturverfilmungen. Abseits des multimedialen Bestsellertums von „Harry Potter“ oder „Herr der Ringe“ sucht man heute zumeist vergeblich nach Adaptionen der hohen, schönen, guten Literatur, der idiosynkratischen Buchstoffe, die, auf Celluloid gebannt, interpretieren, ohne die literarische Deutungshoheit zu verletzen. Es muß beileibe nicht „Der Dritte Mann“ sein; ein Werk von Schlöndorffschem Range stände dem internationalen Kino mitunter ganz gut zu Gesicht.

Robert Benton, für seine Arbeit „Kramer vs. Kramer“ einst mit dem Oscar ausgezeichnet und bereits durch die Verfilmung von E.L. Doctorows ?“illy Bathgate“ mit der Arbeit eines modernen nordamerikanischen Autors in Berührung gekommen, hat mit seiner Verfilmung von „Human Stain“, dem vorletzten, auch in Deutschland sehr erfolgreichen Roman von Philip Roth, eine ruhige und umsichtige Adaption abgeliefert, deren Besetzung allein spektakulär ausgefallen ist, und die im besten Sinne unaufgeregt auf den Betrachter wirkt. Im Film wie im Roman geht es um Vorverurteilung, Ausbeutung und Selbstfindung – große Themen für einen gut anderthalb Stunden langen Film, wenn der Vorlage knapp 400 Seiten gestattet sind.

Wie in vielen der ausgezeichneten Romane des Philip Roth fungiert der jüdische Schriftsteller Nathan Zuckerman (im Film: Gary Sinise) als Erzähler und Überbringer schlechter Botschaften. In „Der Menschliche Makel“ hat sich Zuckerman nach einer schweren Krebsoperation in die ländliche Idylle von Massachusetts zurückgezogen, man schreibt die späten neunziger Jahre, in den Vereinigten Stasten droht dem Präsidenten ein Amtsenthebungsverfahren, da er außerehelichen Geschlechtsverkehr mit einer Praktikantin vollzogen haben soll. Eher zufällig stößt Zuckerman auf die Geschichte des (zwangs-)emeritierten Professors Coleman Silk (Anthony Hopkins), ehemals Dekan des in der Nähe gelegenen Athena College und wie Zuckerman leidenschaftlicher Jazz-Fan. Coleman Silk vertraut sich Zuckerman an und entspinnt sein persönliches Leid. Durch eine mißverständliche Bemerkung in einem seiner Seminare (zwei regelmäßig abwesende Studentinnen werden von ihm als „Spooks“ (Geister) bezeichnet – es stellt sich heraus, daß die beiden Farbige sind – das Wort „Spooks“ enthält auch eine rassistische Konnotation) wird Silk aus Amt und Würden entlassen, seine Frau stirbt urplötzlich und der alte Mann sieht sich unvermittelt seines Lebensinhalts beraubt. Coleman bittet Nathan, diese Ereignisse schriftlich festzuhalten, eine Suada gegen den Geist von Vorverurteilung und Bigotterie zu verfassen. Nathan lehnt zwar ab, wird aber zunehmend zum Gesprächspartner und Freund des verbitterten Altphilologen Silk. Dieser beichtet ihm in der Folge sein Verhältnis mit der Putzfrau und Melkerin Faunia Farley (Nicole Kidman) sowie die Tatsache, daß der vorgeblich jüdische Gelehrte Silk in Wahrheit der afroamerikanischen Mittelschicht entspringt, sich aufgrund seines hellen Teints aber bereits früh im Leben für eine Karriere als „white, caucasian, male“ entschieden hat.

Rückblicke im Film auf die Lebensumstände des jungen Coleman, sein familiäres Gefüge und seine Angst vor Ausgrenzung, zeichnen ein lebendiges Bild dieser Ausführungen. Benton deutet hier detailliert den Grundkonflikt des alten Mannes an. Sein Makel besteht in der Leugnung seiner Herkunft, was ihm im Fall seiner inkriminierten Äußerung und anschließenden Demission zum Verhängnis wird.

Coleman Silk ist auch im unfreiwilligen Ruhestand keine vita contemplativa gegönnt. Seine Liaison mit der Analphabetin steht unter schlechten Vorzeichen. Die von Nicole Kidman viel zu makellos Gegebene trägt ihr Schicksal in Form des frühen Todes ihrer beiden Kinder und eines gewalttätigen Ex-Ehemannes, des Vietnam-Veteranen Lester (Ed Harris), der Coleman und Faunia auflauert und nachstellt. Nach und nach nimmt die Beziehung der beiden so Ungleichen immer mehr Platz im Handlungsgefüge ein, die Körper rücken in die Totale wie das verkniffene Gesicht des betrogenen Exgatten. Colemnas Urangst und Chance, das Anderssein und der Zwang, dies vor der Umwelt zu verstecken, verliert ihre Kraft in der Begegnung mit der schönen Faunia, die unkonventionell und gewöhnlich einen neuen Lebensabschnitt markiert: „Sie ist weder meine erste noch meine größte Liebe“ konstatiert er lakonisch gegenüber Zuckerman, „doch mit Sicherheit ist sie meine letzte.“ Es endet, wie es mit der ersten Szene begann: auf verschneiter Landstraße wird man Coleman und Faunia im fahrenden Auto gewahr, zufrieden aneinandergeschmiegt. Urplötzlich kommt der Wagen von der Straße ab, beide kommen im Graben zu Tode.

Zuckerman ahnt die Beteiligung Lester Farleys an dem angeblichen Unfall, Gewißheit erlangt er nicht. In der letzten Szene des Films begegnet er dem gebrochenen Mann beim Eisfischen auf einem zugefrorenen See, unfähig, Wut auf diesen Menschen zu verspüren. Mit der Andeutung, Lester einen Platz in seinem neuen Buch einzuräumen, schließt Bentons Film.

Unentschlossen wie Gary Sinise in der Rolle des Nathan Zuckerman (es sei bemerkt, daß Benton den Erzähler im Vergleich zur Vorlage als sehr jungen und vitalen Mann angelegt hat) am Schluß agiert, so mangelt es auch dem gesamten filmischen Werk an Entschlossenheit und Kontur. Große Namen bringt er zweifelsohne mit, doch erscheinen sie uns mit Ausnahme des finsteren Ed Harris als Fehlbesetzungen. Nicole Kidman ist einfach zu hübsch und unbedarft in der Rolle der Faunia, Anthony Hopkins läßt wenig von der Gebrochenheit des Romanhelden Coleman Silk durchblicken. Benton entschärft die Charaktere und somit die Fabel. Die Verlogenheit des akademischen Personals von Athena, in Roths Roman vortrefflich herausgearbeitet, hat Drehbuchautor Nicholas Meyer in seinem Script auf einige wenige, effektheischende Konfrontationen zusammengestrichen. Die zeitliche und inhaltliche Koinzidenz mit der Clinton-Lewinsky-Affäre, im Roman zentraler Bezugspunkt der Kontroverse um Coleman Silk und seine Beziehung zu Faunia Farley, verkommt im Film zum bloßen Vehikel für einen blassen Eingangsdialog. Es ist die Liebe in den Zeiten des drohenden Impeachment, nicht aber die Geschichte von vier Menschen, die schwer an ihrer Vergangenheit und den damit verbundenen seelischen Beschwerden tragen.

Man kann Robert Bentons Verfilmung unter Aspekten der Filmästhetik keinen Vorwurf machen. Die ruhige Atmosphäre, die getragene Musik, die verhaltene Bildsprache und sparsamen Schnitte des jüngst verstorbenen Kameramanns Jean Yves-Escoffier sind nicht die schlechteste Wahl bei der Verfilmung einer anspruchsvollen literarischen Vorlage. Allerdings entgeht ihm über die gesamte Dauer des Films die Sprengkraft des Romans, das literarische Manifest eines lebenslangen Selbstbetrugs, der im kollektiven Selbstbetrug einer ganzen Nation zu kulminieren scheint. Das Auge vermag einen Eindruck von der Wut des Coleman Silk zu verspüren, doch unter der Oberfläche, das weiß zumindest der geschätzte Leser der Werke des gealterten Provokateurs Philip Roth, gärt es noch viel heftiger, ist der Haß nicht mehr bloß latent. Coleman Silks Beschwerden greifen tiefer, als Bentons Film den Zuschauer glauben machen will.

Am Schluß ein Bild von Schönheit und Einsamkeit, das Roths Roman in etwa gerecht wird: Auf einem Eimer sitzt Lester Farley und fischt durch ein einziges Loch in dem weiten, stark überfrorenen See. Doch dieses Bild entschädigt nicht für die Unentschlossenheit des Drehbuchs, die Manieriertheit der Darsteller, die Leere des Tragischen in Robert Bentons Film.

„Der menschliche Makel“ ist ab Donnerstag, den 18. Dezember in den Passage Kinos Leipzig zu sehen.(Roland Leithäuser)

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