Was nützt die Liebe in Gedanken (D2003)
Regie: Achim von Borries
Kamera: Jutta Pohlmann
Drehbuch: Achim von Borries, Handrik Handloegten, nach einer Vorlage von Annette Heiss und Alexander
Pfeuffer, nach Motiven des Romans ?Der Selbstmöderclub? von Arno Meyer zu Küingdorf
Darsteller: Daniel Brühl, August Diehl, Anna Maria Mühe, Jana Pallaske u.a.
Was nützt die Liebe in Gedanken? Kommt die Gelegenheit, dann kannst Du´s nicht.
„Was nützt die Liebe in Gedanken“ lebt von der Anekdote, vom Pittoresken, und zielt dabei so hoch, dass zweifellos nur das Kino das Thema mit so viel Würde behandeln konnte. Kaum ein Film zeugt deutlicher von der Situation des modernen Menschen, von der Notwendigkeit, ohne die Hilfe der Götter der Entwürdigung zu entgehen. Und das Kino ist sicher in besonderer Weise dazu befähigt, dieses Drama zu erfassen – eher vom Mythos des eigenen Schicksals, von der unheilvollen Wirkung der eigenen Befindlichkeiten, als vom Tod des Göttlichen zu erzählen.
Gibt es ihn wirklich, den höchsten Punkt im Leben? Günther (August Diehl) und Paul (Daniel Brühl) sind davon überzeugt: Sie wollen leben, in vollen Zügen und ohne Kompromisse – und gleiches verlangen sie von der Liebe. Gemeinsam mit Günthers Schwester Hilde (Anna Maria Mühe) verbringen die das Wochenende in einem Sommerhaus auf dem Land. Paul ist fasziniert von dem Mädchen und verliebt sich in sie. Und zunächst sieht es so aus, als ob Pauls Gefühle erwidert werden. Doch Hilde liebt viele. Heimlich trifft sie sich mit Hans – Günthers ehemaligen Liebhaber. Im Garten des Hauses feiern alle Beteiligten, mit Freunden ein rauschendes Fest. Allerdings setzt dieses Fest eine Achterbahnfahrt der Gefühle in Gang, die sehr bald außer Kontrolle gerät: Nach dem Rausch durch Absinth und Musik, durch die scheinbar unendliche Sehnsucht und Gier nach dem höchsten Punkt im Leben, folgt die absolut deprimierende Ernüchterung am nächsten Tag. Günther glaubt, die intensivste Erfahrung des Lebens gespürt zu haben, doch verpasste er den dramatischen Abgang am Abend des Festes – weswegen er das Leben seiner unerfüllten Liebe Hans, sowie das eigene tragisch enden lässt.
Die beiden Hauptdarsteller August Diehl und Daniel Brühl müssen sich als Aushängeschilder des Filmes verantworten können – zu sprunghaft entwickelte sich ihre Karriere in den letzten beiden Jahren: „Good Bye Lenin!“ und „Das weiße Rauschen“ lebten von der Klasse des Daniel Brühl, August Diehl verlieh „Lichter“ und „23 – nichts ist so, wie es scheint“ seinen charismatischen Ausdruck – beide erhielten bereits den Deutschen Filmpreis als Bester Hauptdarsteller. In „Was nützt die Liebe in Gedanken“ dürfen wir dem Schauspiel der beiden zwar glauben, aber die Mimik haben wir schon entfernter vom oberflächlichen Grimassieren gesehen. Die scheinbare Offenlegung der seelischen Zustände, grandios in „Das weiße Rauschen“ und in „23“, bleiben uns Zuschauern diesmal verwehrt. Obgleich ihr Können jederzeit präsent ist, wirken beide lediglich recht solide, allgemein gültig, logisch und vorhersehbar – diese Schwäche gilt es allerdings den Fädenziehern hinter der Kamera aufzubürden und nicht den Schauspielern, deren Spiel uns Zuschauern, trotz aller Dünnbodigkeit, an das vorherbestimmte Schicksal des Menschen glauben lässt.
Die Tragik einer zwingend absoluten Liebe in Zeiten der Jugend – von Achim von Borries umhüllt in seidige, malerische Bilder, die den Film über weite Strecken nicht zu brauchen scheinen: Denn was soll begründet auf eine Einstellung folgen, deren pittoresker Gehalt so forciert wurde, dass die Bedeutung des Bildes für sich stehen kann. Mit unzähligen solcher Einschübe erzeugt von Borries den poetischen Fluss des Filmes: der Nebel auf dem See, der leuchtende Vollmond vor dunkelblauen Himmel, die Ritzen der Tür hinter denen das Licht, einer Offenbarung gleich, hervorstrahlt. Soviel Ernst kann schon erschrecken, einem Schauspiel beizuwohnen, das dem unabänderlichen Schicksal der Welt unterworfen ist. Man sieht sich dem Tod gegenüber. Aber diese Effekte sind geschickt und von gewalttätiger Essenz, nur um dem Zuschauer das Drama in seiner höchsten Qualität zu vermitteln. Die Kulisse der eigentlich jugendlichen, aber zugleich auch absolut ernsten Tragödie.
Wahr ist, dass es keinen Schrecken gibt, der nicht durch irgendeine große Idee gemildert ist. In diesem Schicksal verliert in von Borries Film die Kraft der Emotion den Kampf gegen die Macht der Idee. In der Absicht, die Tragödie allzu historisch korrekt aufarbeiten zu wollen, lebt das Drehbuch in der Hauptsache von diesem Vorhaben. Die Herausforderung, sich der Psychologie der Protagonisten zu stellen, das heißt der Spekulation, dem Erstaunen, der Faszination und dem Erschrecken, bleibt von Borries Film schuldig. Doch gerade in dieser Verbindung liegt die wahre Kraft des sicherlich großen Stoffes – die Ergriffenheit der Helden schenkt uns durch die Poetik der Bilder lediglich ästhetische Befriedigung, die Katharsis der Tragödie verschwindet mit dem Ende des Filmes, ohne je ernsthaft gewirkt zu haben.
„Wenn man nicht weiß, was man machen soll, versucht man wenigstens, dass es schön aussieht, wie geleckt“, behauptete mal Wim Wenders. Ein bisschen mehr Tiefgang, allerdings keinesfalls auf Kosten der zweifellos großartigen Ästhetik des Filmes, hätte „Was nützt die Liebe in Gedanken“ nicht nur zu einem von vielen, fraglos guten, deutschen Filmen gemacht, sondern ihm auch allezeit einen festen Platz in der hiesigen Kinolandschaft gesichert. (Michael Bolte)
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