Premiere: David Greig „Die letzte Botschaft des Kosmonauten an die Frau, die er einst in der ehemaligen Sowjetunion liebte” (Babette Dieterich)

23.01.04 Schauspielhaus (Neue Szene)

David Greig
Die letzte Botschaft des Kosmonauten an die Frau, die er einst in der ehemaligen Sowjetunion liebte (Premiere)


Himmel ausgestanzt

?Ich habe schon immer die Kosmonauten geliebt. (…) Für mich waren die Kosmonauten romantische, wunderbare Existenzen und viel heldenhafter als westliche Astronauten. (…) Ich habe geglaubt, dass Kosmonauten für die ‚einfachen Leute auf der ganzen Welt‘ waren, die Astronauten aber nur für ‚Amerika‘.? So der Autor David Greig in einem E-Mail-Interview mit der Dramaturgin Skadi Riemer. In seinem Theaterstück mit dem langen Titel schwingt neben der realen Geschichte ? Kosmonauten der MIR waren im All, als die Sowjetunion 1991 zusammenbrach, und ihre Mission dauerte fünf Monate länger als geplant ? auch eine große Portion Kindheit mit. Wobei sich die geheime Mission der beiden Kosmonauten Oleg (Marco Albrecht) und Kasimir (Thomas Dehler) bereits um siebzehn Jahre verlängert hat. Kein Funkkontakt zur Erde ist möglich, ?Die haben uns vergessen?, meint Kasimir. Einzig seine Tochter Nastassja (Carolin Conrad), die jetzt als Erotiktänzerin arbeitet, glaubt noch mit kindlicher Verbissenheit an ihren Papa im Himmel.

HIMMEL steht hineingestanzt in eine Wand in übermannsgroßen Lettern (sehr gelungenes Bühnenbild: Tom Musch). Zu Beginn des Stückes wird die Wand rosa angestrahlt, rosa Wolke? Siebter Himmel? Sofort beginnt die Metapher in vielen Varianten zu schillern. Hinter den Lettern schweben die Kosmonauten an Nabelschnüren aus dem Schnürboden ihre Runden, Planeten sausen projiziert auf die Rückwand an ihnen vorüber. Dann wieder werden die ausgestanzten Lettern von HIMMEL zur Bar, zum Eingang in eine Wohnung, zum Fenster, zum Ein- und Ausblick.

Auf der Erde wechseln die Spielorte fast jede Szene: Edinburgh, London, Oslo und Provence. David Greig schickt seine Protagonisten durch Europa, verknüpft geschickt die einzelnen Episoden. Der Beamte Keith (Bernd Stübner) betrügt seine Frau Vivienne, eine Sprachtherapeutin (Susanne Stein), mit Nastassja, die ihn wiederum verlässt, um mit einem Beauftragten der Weltbank (Torben Kessler) nach Oslo zu gehen. Keith lässt seine Kleider am Meeresstrand liegen, darunter eine Krawatte mit der Abbildung eines Gemäldes von Paul Cézanne: Sein ?heiliger? Berg, der Mont Saint Victoire. Ein Zeichen für die Sprachtherapeutin, die bereits zu stottern begonnen hat, in der Provence Urlaub zu machen. Dort trifft sie einen UFO-Forscher, wiederum gespielt von Bernd Stübner, dem Darsteller ihres Ehemanns.

Mehr als ein gelungener Theatertrick des Autors: Die Doppelbesetzungen aller Darsteller, bis auf das Duo der Kosmonauten im Himmel. Auf Erden verdoppeln sich die Identitäten, herrscht ein Verwirrspiel. Und die, die den Überblick haben, die mit Teebeuteln nach der Erde werfen und per Zufall Oslo und London treffen, haben keinen Kontakt zur Erde. Gegen Ende werden die einzelnen Geschichten enggeführt, sind die Kosmonauten und eine junge Polizistin (Doppelrolle von Nastassja / Carolin Conrad) gestorben und spielen Karten in einem anderen HIMMEL, findet die Sprachtherapeutin ihren Mann in der Provence. Zeit für rosa Licht.

In der Regie von Thorsten Duit agieren die Schauspieler mit großer Leichtigkeit, trotz der komplizierten Verwicklungen fehlt jegliche Erdenschwere. Die Sprache von David Greig ist abwechslungsreich, pointiert, die Szenenwechsel und Verknüpfungen der einzelnen Stränge gelungen, ohne konstruiert zu wirken. ?Es ist überraschend, wie dennoch alles miteinander zusammenhängt?, sagt David Greig selbst dazu. Alle seine Figuren suchen, sei es den Himmel, den Himmel auf Erden, sie sehnen sich nach Heimat: ?Schließlich sind wir alle ‚gefallene‘ Geschöpfe?.

(Babette Dieterich)

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