Das Schauspiel Leipzig gedenkt Thomas Bernhard mit einer szenischen Lesung (Roland Leithäuser)

Mittwoch, 11.2.2004
Schauspiel Leipzig, Neue Szene

?Holzfällen?: Szenische Lesung von und mit Marco Albrecht und Michael Schrodt anlässlich des 15. Todestages von Thomas Bernhard

Einladungsunverschämtheiten

Man kommt sich vor wie ein professioneller ?Jubiläumsnekrologverfasser? in diesen frühen Tagen des Jahres 2004. Heiner Müller, Immanuel Kant, und nun Thomas Bernhard: die großen Sprachgenies deutscher bzw. österreichischer Provenienz wollen aus Anlaß ihres sich jährenden Ablebens oder auch eines runden Geburtstages gebührend gefeiert werden. Daß im Schauspiel Leipzig dem großen ?Umwerter? Bernhard mit einer szenischen Lesung seiner programmatischen Erzählung ?Holzfällen? am Vorabend seines Todes vor fünfzehn Jahren gedacht wird, fällt dabei wenig ins Gewicht. Der gute Wille zählt.

Bernhards Text, 1984 erschienen und seither skandalumwittert wie so manche seiner Schriften, erzählt von einer Wiener Abendgesellschaft in den ?sogenannten? künstlerischen Zirkeln. Das Ehepaar Auersberger hat geladen, er ein dem Alkohol verfallener Komponist in der ?Webern-Nachfolge?, sie eine dumme, Kultiviertheit heuchelnde Gesellschaftsdame, welche den Schlachtplan für das nächtliche ?künstlerische Abendessen? akribisch geplant hat. Der Ich-Erzähler nun, ein kaum verkennbares Alter Ego Bernhards, verfolgt das Treiben der versammelten Künstler, Schriftsteller und Honoratioren mit steigendem Unmut, den er ?auf dem Ohrensessel? sitzend still für sich goutiert. Es gibt einen Anlaß für die Zusammenkunft: ein Burgschauspieler, naturgemäß vom Erzähler für seine Tätigkeit verachtet, soll die Gesellschaft nach dem Ende seiner Vorstellung von Ibsens ?Wildente? im Akademietheater beehren. Allein der Burgschauspieler verspätet sich gewaltig. Dieser Umstand lässt dem Erzähler Zeit, mit sich in Klausur zu gehen, die anwesenden Personen einer gewissenhaften Abstrafung zu unterziehen, sich selbst dafür verachten, die Einladung der Auersbergerischen ohne Widerstand angenommen zu haben. Auf dem Wiener Graben ist er ihnen begegnet, in der Stadt, die er haßt wie keine zweite, in die er nur zurückkehrte, um sich eine Krawatte zu kaufen, um fürderhin an der Beerdigung einer Jugendfreundin teilzunehmen, die sich in dem Provinznest Kilb nach über Jahre währender Depression erhängt hatte. So trifft er die Auersbergerischen auf dem Graben, die naturgemäß über den Tod der gemeinsamen Jugendfreundin (?der Joana?) bereits im Bilde sind und meinen, den Erzähler über den tragischen Freitod informieren zu müssen. Sie verbinden das mit der Einladung zu ebendiesem ?künstlerischen Abendessen?.

Dieses nimmt in der Folge seinen grotesken Gang. Der Burgschauspieler erscheint schließlich und beginnt bei Suppe und Wein seinen endlosen, selbstverliebten, nur durch die lautlosen Verwünschungen des Erzählers unterbrochenen Monolog über das Theater, die Kunst und – naturgemäß – seine Berufung als Schauspieler. Schließlich kulminiert sein zunehmend betrunkeneres Reden in einem Exkurs über Künstlichkeit und Naturalismus, der mit der titelgebenden Äußerung schließt: ? In die Natur hineingehen und in dieser Natur ein- und ausatmen und in dieser Natur nichts als tatsächlich und für immer Zuhause sein, das empfände er als höchstes Glück. In den Wald gehen, tief in den Wald hinein, sagte der Burgschauspieler, sich gänzlich dem Wald überlassen, das ist es immer gewesen, der Gedanke, nichts anderes, als selbst Natur zu sein. Wald, Hochwald, Holzfällen, das ist es immer gewesen, sagte er plötzlich aufgebracht und wollte endgültig gehen.?

Bernhards expressive Prosa lebt gerade in ?Holzfällen? von den enervierenden Wiederholungen banalster Äußerungen, dem Singsang, indem auch der größte Nonsens noch theatralisch und immerfort aufs Neue intoniert wird. Das Theater dankt es ihm immer wieder mit spartanischen Inszenierungen, die ihre Stärke aus der Kraft der sprachlichen Anklage beziehen. So auch an diesem Abend im Leipziger Schauspiel. Auf der Bühne wird eine festlich gedeckte Tafel angedeutet, an der die beiden Rezitatoren Albrecht und Schrodt zunächst Platz nehmen, nur um dann im Laufe dieser ?szenischen Lesung? jeweils simultan die Plätze zu wechseln, einmal am jeweiligen Kopfende, dann vor dem Tisch, am Schluß sogar auf dem Tisch Platz zu nehmen. Mal gemeinsam, dann wieder allein, oft lautstark die Anfeindungen des Erzählers repetierend, lassen sich die beiden Akteure zunehmend intensiver auf den Text ein, dabei in schöner Regelmäßigkeit die Kunstpausen durch einen Schluck aus dem Sektglas unterstreichend.

Die unvermeidbaren Kürzungen am Text sind behutsam vorgenommen worden, der Sinn bleibt unentstellt, eine Tatsache, die man betonen sollte angesichts der Vielzahl von sogenannten ?Lesungen? bei denen es sich um weitgehend aus den Zusammenhängen gerissene Textcollagen handelt. Die Inszenierung in der Neuen Szene jedoch betont den Text zugunsten der Show und tut so den Schauspielern und dem begeisterten Publikum einen großen Gefallen. Die Lacher sind zahlreich und mitunter sogar unfreiwillig, doch bestätigen sie nachhaltig das sonnige Gemüt Bernhards, den zahlreichen Fans seines Werkes zumindest bekannt aus den Aufzeichnungen seines langjährigen Freundes Hennetmair. Bernhard, wie er singt und lacht. Alle Schwere sei aus Anlaß seines Todestages wie hinweggewischt, und dem Schauspiel Leipzig sei Dank dafür gezollt, verbunden mit der Bitte, mit einer weiteren Aufführung nicht bis zum nächsten Todestag zu warten.

(Roland Leithäuser)

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