Buchbesprechung: Antal Szerb: Reise im Mondlicht (Steffen Lehmann)

Antal Szerb: Reise im Mondlicht. Roman. Aus dem Ungarischen von Christina Viragh, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 2003, 259 Seiten, 14 Euro.

Reise zum Bei-sich-selbst-sein

Was für eine Hochzeitsreise. Der alternative Entwurf, der in „Reise im Mondlicht“ geschildert wird, verdient auf den im Lande um sich greifenden Hochzeitsmessen angepriesen zu werden. Ausgedacht hat ihn sich Antal Szerb. In seiner ungarischen Heimat als einer der wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts gefeiert, ist sein Meisterwerk nach einer langen – allzu langen Wartezeit – in deutscher Sprache zugänglich. Nach Sandor Marai gilt es nun eine weitere Stimme aus dem literarischen Mitteleuropa zu entdecken.

Mihály, aus wohlhabender Budapester Familie stammend, hat in fremden Gefilden gewildert und einem Bankier dessen Ehefrau Erzsi ausgespannt und geheiratet. Die Hochzeitsreise führt sie in südliche Gefilde nach Italien. Szerb konstruiert diese Fahrt als eine Reise mit psychologischem Begleitprogramm. Die erste Station heißt Venedig. Eines Abends streunt Mihály durch die engen Gassen der Lagunenstadt. Allein, ohne Zeitgefühl beginnt er eine Gedankenreise in seine Jugend, die zugleich den Abschied von seiner frisch Angetrauten markiert.

Die Erinnerungen, die Mihály umtreiben, drehen sich um die Geschwister Tamás und Eva. Die Jugendtage dringen in dieser venezianischen Nacht wieder an die Oberfläche. Eine Gruppe von Teenagern, die zusammen trank, Theater spielte und von Italien träumte. Zusammen waren sie getrieben von der Suche nach dem Endgültigen, dem Geheimnis der letzten Dinge. In seiner Todessehnsucht bringt sich Tamás Jahre später um – assistiert von seiner Schwester Eva. Und Eva lässt Mihály auch nach der Hochzeit nicht los. Als er seine Frau „zufällig“ nach Zwischenstopps in Florenz und Ravenna verliert und nach einer kurzen Kaffeepause einen falschen Zug besteigt, hat seine Reise ein neues Ziel: noch einmal Eva sehen. Die Hochzeitsreise wird zu einer Flucht, auch einer Flucht vor sich selbst. Durch einen Zufall findet er sie in Rom. Sein eigener Todeswunsch wird durch eine Kindtaufe durchkreuzt. Zum Schluss wird der alte Vater seinen Sohn in Rom abholen und mit ihm zurück nach Budapest fahren.

Zwischendurch wechselt Szerb immer wieder die Perspektive und verliert die anderen Protagonisten nicht aus den Augen. So erfährt der Leser, wie die verlassene Erszi in Paris den Avancen eines wohlhabenden wie drangvollen Persers begegnet. In einem wunderbaren Brief gibt der verlassene Ehemann Zoltan in einem Brief an Mihály Ratschläge, wie die Holde möglichst zu behandeln sei. Mihálys Reise ist voller verschlungener Pfade und überraschender Begegnungen. Doch am Ende kann er dem Alltag nicht entfliehen. Ein Brief von seinem Bruder macht Mihály klar, das seine „Flucht“ die Firma in arge Bedrängnis gebracht hat. Die beiden getrennten Eheleute treffen sich in Rom noch einmal wieder, eine stürmische Liebesnacht inklusive.

Antal Szerb lehrte neben seiner Arbeit als Romancier an der Universität Szeged Literaturgeschichte. Seine 1934 veröffentlichte „Ungarische Literaturgeschichte“ wird noch heute genutzt. Später kam „Die Literaturgeschichte der Welt“ hinzu. Der Erfolg seiner wissenschaftlichen Arbeit war Szerb zeitlebens nicht ganz geheuer. Fürchtete er doch, dass seine Romane beim Publikum in den Hintergrund treten könnten. Wegen seiner jüdischen Herkunft wurde ihm später die Lehrtätigkeit untersagt. Szerb starb 1945 im Alter von 43 Jahren in einem ungarischen Konzentrationslager. Seine „Reise im Mondlicht“ ist ein kluges Buch, das nun endlich wieder den Weg zu seinem Publikum gefunden hat.

(Steffen Lehmann)

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