Tanz der Freiheit: Philipp Tiedemann inszeniert Slawomir Mrozeks „Tango” (Marcus Erb-Szymanski)

Schauspiel Leipzig, Schauspielhaus, Repertoire
Premiere am 27.02.2004

Slawomir Mrozek
Tango

Regie: Philipp Tiedemann
Bühne: Etienne Pluss
Kostüme: Stefan von Wedel
Musik: Ole Schmidt
Dramaturgie: Michael Raab

Darsteller:
Eugenia: Ellen Hellwig
Edek: Stefan Schießleder
Eugen: Dieter Jaßlauk
Artur: Stefan Kaminsky
Eleonore: Heidi Ecks
Stomil: Matthias Hummitzsch
Ala: Anja Schneider

Bild (Schauspiel Leipzig): Dieter Jaßlauk, Stefan Schießleder und Anja Schneider


Tanz in die Freiheit und zurück

Welch wunderbares Finale: zwei Männer tanzen Tango auf den Trümmern der Geschichte. Es sind zwar nur die Überreste einer Familiengeschichte, in denen Slawomir Mrozeks Stück „Tango“ endet, aber das Ganze lässt sich ebenso gut als Metapher für die jüngste Geschichte der Menschheit lesen. Diese ist dargestellt als Generationenkonflikt. Da gibt es erstens die Großelterngeneration, die noch die preußische Ordnung der Welt kennengelernt hat. Zweitens die Elterngeneration, die sich von allen Konventionen befreite und drittens die Generation der Kinder, die in eine wertfreie Zeit hineinwachsen, in der alles erlaubt ist und daher nichts mehr sinnvoll erscheint.

Regisseur Philip Tiedemann gewinnt der Handlung ein Maximum an Aktualität ab, indem er die Eltern als Altachtundsechziger interpretiert. Dies kommt der Entstehungszeit des 1964 geschriebenen Stücks sehr nahe, setzt allerdings auch einige visionäre Gaben des polnischen Dichters voraus. Die möchte man ihm gar nicht absprechen. Denn die Befindlichkeit, die der Sohn des Hauses, Artur, in seiner Revolte gegen die Eltern kundtut, entspricht doch in hohem Grade derjenigen der heutigen Jugend. Dort, wo Recht und Ordnung nicht mehr zwingend scheinen, wo alles erlaubt ist und Normen und Werte nur noch wie überalterte historische Daten behandelt werden, dort schmeckt die Freiheit wie abgestandenes Bier. (Vater: „Was willst Du denn?“ Artur: „Etwas, wogegen man noch protestieren kann!“)

Artur reagiert wie ein antiautoritär erzogenes Kind. Er versucht an Grenzen zu stoßen, fleht seine Eltern um ein paar Normalitäten an, um Regeln und Regelmäßigkeiten. Doch die Ellis sonnen sich im Ruhm ihrer kulturrevolutionären Taten („Wenn Du heut mit Oma machen kannst, was Du willst, dann hast Du das uns zu verdanken!“). Sie sehen nicht im Geringsten ein, konstruktiv zu sein. Entweder versumpfen sie beim Karten – bzw. freien Liebesspiel, oder sie machen altbackene Aktionskunst, die sie mit „avantgardistischen“ Pamphleten reflektieren. Doch deren Haltbarkeitsdatum ist längst abgelaufen („Kunst ist ewiger Protest!“).

Am Ende siegt die nackte Gewalt. Sohn Artur erkennt im Tod das einzige Machtinstrument, das noch Wirkung zeigt, mit dem sich noch Angst und Schrecken verbreiten lässt. Er greift zum Mittel des brutalen Putsches, um Konventionen, Recht und Ordnung wiederherzustellen. Stefan Kaminsky, der bis dahin den leicht neurotischen Pedanten mimte, zeigt nun Ansätze zum Dämonischen. Aus dem Banalen wächst die Macht und mit ihr das Geheimnis der Tyrannei: Wahnsinn und Besessenheit. Hier hätte man sich einen Kinski in der Hauptrolle gewünscht, Kaminsky bleibt noch zu zahm, geht nicht weit genug in seiner plötzlichen Maßlosigkeit.

Als die eigentlichen Protagonisten erweisen sich die beiden „Alten“. Dieter Jaßlauk als „Onkel Eduard“ spielt den scheinbar biederen, aber dabei schlitzohrigen und heimtückischen alten Herrn. Er beherrscht virtuos alle Rollen, die das Leben für einen Mann in seinen besten Jahren bereithalten kann. Vom lieben Opa bis hin zum ledernen Geheimdienstchef (wie er als rechte Hand des revoltierenden Sohns bisweilen wirkt). Matthias Hummitzsch kehrt in seiner Rolle als Vater (Stomil) dagegen den weichen Altrevoluzzer heraus, dessen eigentliches Leben sich auf die Kunst beschränkt, während er der Realität wehrlos gegenübersteht. Zaghaft und schwuchtelig sieht er ohnmächtig zu, wie ihn seine Frau gemäß seiner eigenen Ideale („Freiheit bedeutet in erster Linie die freie Liebe.“) die Hörner aufsetzt. Schauspielerisch gelingt Hummitzsch dabei die Gratwanderung zwischen Posse und Satire.

Bei den Frauen ist Ellen Hellwig souverän als Großmutter. Herrlich anzuschauen im karierten Rock, braunen Strumpfhosen und riesigen Billigturnschuhen. Mitunter erinnert sie an Golden Girl Rose, zumal wenn sie ihre Whisky-Stimme aus der kleinen Zeh holt. Anja Schneider dagegen ist einmal mehr das infantile Blondchen, eine Rolle, die sie inzwischen vollendet beherrscht, auch wenn diese weder ihr noch jedem Stück immer unbedingt gut tut. Heidi Ecks passt sich unauffällig, aber sehr beherrscht in die Szene ein. Die wichtige Figur des aufsteigenden Dieners und Hausfreundes Edek dagegen bleibt konzeptionell wie schauspielerisch leider unterbelichtet.

Alles in allem handelt es sich um eine Inszenierung, die vor allem von schönen Detaileinfällen lebt, insgesamt aber auch ihre Längen hat. Ein wenig mehr Chaos und „Action“ ließe sich durchaus hin und wieder noch einstreuen, schließlich gilt Mrozek nicht umsonst als einer der Vertreter des absurden Theaters. Allein als Politsatire und Metapher um die Dialektik von Revolution und Restauration betrachtet hat das Stück selbst schon zu viel Staub angesetzt.

(Marcus Erb-Szymanski)

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