„Balkan Express” mit Dokumentarfilmen aus Köln und Leipzig (Lina Dinkla)

Willkommen an der Grenze
Deutschland, 2003, 55 min, Dok., Digicam
Regie: Silvia MiosicWhat to drink?
Deutschland, 2002, 35 min, Dok., 16mm
Regie: Nancy Brandt und Thomas Doberitzsch

die naTo, 2. März 2004

(Bilder: www.nato-leipzig.de)
Balkan persönlich
Zwei Dokumentarfilme aus Leipzig und Köln in der naTo-Filmreihe „Balkan Express“

Die Stimmung in der naTo ist gut, die Laune des Publikums ausgelassen, denn zur Eintrittskarte gibt es ein Gläschen Slivovica oder einen Becher Hagebuttentee, es kann also losgehen mit der Fahrt im „Balkan Express“. Zehn Jahre sind vergangen, seit der Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien offiziell beendet wurde, die Wunden und Narben, die Trennungen und Verluste, die er hinterließ, sind noch an vielen Stellen sicht- und spürbar. Zehn Jahre nach einem Krieg, der aus einem größeren Land viele kleine Länder machte, der Brüder, Nachbarn und Freunde zu Feinden werden ließ. Wie sieht die Situation heute aus, in Bosnien, Kroatien oder Serbien? Zwei Filmemacherinnen aus Deutschland sind dorthin gefahren, haben nachgeschaut und mit den Menschen geredet.

Herausgekommen sind zwei äußerst unterschiedliche Einblicke in das Nachkriegsjugoslawien, zwei Dokumentarfilme, bei denen es sich zudem um Debütarbeiten handelt. „Willkommen an der Grenze“ ist der Abschlussfilm von Silvia Miosic, die an der Kölner Kunsthochschule für Medien studierte, und „What to drink?“ ist Nancy Brandts Erstlingswerk, das in enger Zusammenarbeit mit ihrem Kameramann Thomas Doberitzsch entstand. Brandt studiert an der HTWK in Leipzig.

Willkommen an der Grenze

„Willkommen an der Grenze“ spielt in Mostar, in der „berühmten“ geteilten Stadt in Bosnien-Herzegowina. Silvia Miosic stammt selbst von dort, was ihr den Anstoß gab, ihren Abschlussfilm über diesen Ort zu drehen. Sie erzählt in der anschließenden Diskussion, dass ihr bei ihrem ersten, zufälligen Besuch in Mostar die Situation der Stadt sehr absurd vorkam, zugleich aber auch sehr spannend, so dass sie beschloss, daraus einen Film zu machen. Sie nimmt darin einen äußerst subjektiven, persönlichen Blickwinkel ein, der sie über die Stadt und deren unsichtbare Teilung in die Seite der muslimischen Bosnier und die der kroatischen Christen sinnieren lässt. Sie trifft sich während der Drehtage mit Menschen aus beiden Teilen der Stadt, befragt diese zu der Situation in Mostar und wartet auf Antworten.
Je länger Silvia Miosic dort ist, je länger sie forscht, und je mehr Zeitzeugen sie befragt, desto unverständlicher wirken die Antworten und scheint die ganze Situation der Stadt.
Der Film wird ständig begleitet von einem Off-Kommentar, über den Silvia Miosic von ihren Eindrücken berichtet und Näheres über die dargestellten Personen erzählt. Alles, worüber sie nachdenkt, wie ihr Gefühl in Mostar ist, wird kommentiert, erklärt und bewertet. Dem Zuschauer wird schon in den ersten Minuten deutlich, dass „Mostar“ ihre ganz persönliche Angelegenheit ist. Diese Haltung bietet reichlich Angriffsfläche, denn durch ihren ganz eigenen Blick, durch ihre vorgegebene Wertung wird dem Zuschauer die Möglichkeit genommen, sich selbst eine Meinung zu bilden.

Schön sind ihr die Gegenüberstellungen der beiden „Gruppen“ gelungen, durch die Schnittführung können die Begegnungen, Gespräche und die jeweiligen Äußerungen miteinander verglichen werden, und man stellt fest, dass sich Bosnier und Kroaten, Muslime und Christen doch viel ähnlicher sind, als sie selber glauben mögen.
Die Bilder der Digitalkamera geben der Geschichte eine ganz eigene Atmosphäre. Mal ist es gleißendes Licht, eine krasse Überbelichtung der Bilder, dann wieder sind es unscharfe, dunkle Bilder, die der Situation das Künstliche verleiht. Dazu kommt, das Silvia Miosic sich für viele kontemplative Standbilder und die Einblendung von Photos entschieden hat, die diesen ästhetischen Zugang zu einem politischen Thema doch stimmig werden lassen.

What to drink?

Nancy Brandt und Thomas Doberitzsch hingegen gehen in „What to drink?“ weniger persönlich vor. Mit Dubrovnik, dem Handlungsort ihres Films, verbindet sie nicht mehr als ein paar Urlaubsaufenthalte, bei denen sie einmal zufällig auf das einheimische Unikat Pero stießen. Pero ist Lebenskünstler; er hat selbstgemachte Limonade verkauft, als Musiker gearbeitet, und jetzt ist er Bildhauer. Das Portrait, das hier gezeichnet wird, ist aber mit aller Vorsicht zu genießen, denn Pero trinkt und erzählt viel, wenn der Tag lang ist. Er ist ein unglaublicher Selbstdarsteller, jedoch stehen ihm seine Freunde und Bekannten in dieser Hinsicht in nichts nach. Immer wieder werden sie vor die Kamera geholt und sollen erzählen, wie sie Pero kennen gelernt haben, was sie mit ihm verbindet, doch nach kurzer Zeit schweifen sie ab und reden mehr über sich und ihr Leben als über Pero und das Verhältnis zu ihm.

Die politische Situation nach dem Krieg wird als nebensächliches Thema behandelt, denn „What to drink?“ ist eine Zeitaufnahme dieses Mannes und der Stadt, in der er lebt. Die Bilder der Stadt, der Bezug, der durch eine sehr kunstvolle Bildästhetik aufgebaut wird, lässt den Film mehr sein als eine belanglose Arbeit über einen spinnerten Künstler.
Die 16 mm Bilder vermitteln einen professionellen Umgang mit dem Medium Film, und der Blick auf Dubrovnik bekommt durch inszenierte Situationen den Anschein einer traumhaft erlebten Welt. Ruhige Bilder von menschenleeren Straßen, schlafenden Hunden, der Abendsonne über dem Wasser und ein paar Alten, die fast unbeweglich auf einer Bank sitzen – diese Bilder und die offene Interaktion zwischen den Menschen vor und hinter der Kamera tragen zu einem unwirklichen, fabelhaften Bild dieser Stadt bei: zwei Frauen gehen immer wieder den gleichen Weg entlang, weil die Regisseurin es offenbar so wollte, eine Gruppe von Kindern posiert völlig aufgedreht vor der Kamera, und etwas unbeholfen präsentiert ein Fischer seine frisch gefangenen Fische; Nancy Brandt und Thomas Doberitzsch entwerfen das Bild einer utopischen, geträumten Stadt.(Lina Dinkla)

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.